... newer stories
Freitag, 18. Juli 2008
Thema Jesus – alles andere als einfach
lilith2, 00:00h
Kann man an Jesus glauben, wenn man nicht an einen personalen Gott glaubt?
An Gott zu glauben ohne dabei einen personalen Gott vor Augen zu haben und sich dabei (auch) mit der Bibel zu auseinanderzusetzen, ist nicht so einfach. Noch schwieriger ist es jedoch, sich mit Jesus zu beschäftigen, wenn man die Bibel allegorisch liest und Gott eben nicht als Vater begreift. Wenn man an keinen Gottesvater glaubt, kann man auch nicht an einen Gottessohn glauben.
Kann man trotzdem an Jesus glauben? Jenseits von Bibel und biblischen Geboten? Was kann Jesus mir bedeuten, wenn ich die Bibel als ein von Menschen geschriebenes Werk ansehe und wenn ich nicht daran glaube, daß Jesus göttlich war und Wunder getan hat?
Ich kann tun was ich will; ignorieren kann ich Jesus nicht. Nur auf eine historische Persönlichkeit reduzieren kann ich ihn auch nicht. Er muß mehr sein, denn sonst hätte er nicht soviel Einfluß gehabt. Was ist es dann also?
Jesus als Weg der Leidensüberwindung?
Jesus stellt für mich einen Archetyp dar. Ein Archetyp, der die absolute und konsequente Gewaltlosigkeit symbolisiert. Absolut im wahrsten Sinne: selbst den Tod in letzter Konsequenz hinnehmend. Dadurch wiederum stellt er das Neue dar; denn alles Bisherige ist durch Gewalt und Kampf gezeichnet. Die völlige Hingabe an Gewaltlosigkeit bedeutet gleichzeitig auch das Ende der Gewalt, denn Gewalt braucht Gegengewalt, sonst läuft sie ins Leere.
Aber das ist nur ein Aspekt meines Jesusbildes. Jesus ist auch ein Symbol für das Ertragen von Leiden. Das Nicht-Ausweichen vor dem Leiden. Die Fähigkeit des Leidens, die nur der haben kann, der vor dem Leiden nicht flieht. Leidensfähigkeit ist eine der größten Stärken überhaupt. Wer fähig ist zu leiden, der wird seinen Weg gehen und sich nicht aufhalten lassen. Der kann in Dimensionen gelangen, die anderen völlig unbekannt sind.
Menschliches Leben heißt Leiden. Der große Denkfehler des Marxismus war die Annahme, alles Leiden käme einzig und allein aus der Ungerechtigkeit heraus. Gib den Menschen einen gerechten Lohn, Mitbestimmung und humane Arbeitsbedingungen und das Leid ist verschwunden. So banal und eindimensional ist das Leben aber nicht. Auch der beste Lohn, die humanste Arbeit und eine schöne Wohnung können nichts an der Tatsache ändern, daß Menschen sterben müssen. Das Menschen alt und krank werden und dem Tod ins Auge sehen müssen. Und daß ein Mensch im Laufe seines Lebens viele andere Menschen verliert. Da ist es schwer, eine Sinnhaftigkeit zu finden, wenn man auf rein materielle und gesellschaftliche Werte reduziert ist.
Jesus als Versuch der Sinngebung?
Also Jesus als Sinngebung für ein im Grunde sinnloses Dasein? Für den Glauben an eine Unsterblichkeit? Für die Lobpreisung des Leidens, weil man es nun mal nicht verhindern kann? Das wäre eine sehr einfache Erklärung im Sinne Feuerbachs, der den Glauben an Götter auf Ängste und den Wunsch nach deren Abhilfe zurückführt. Oder so, wie die Existenzialisten den Glauben als eine Flucht vor der Absurdität und Sinnentleerung ansehen. Beides ist sicher nicht völlig von der Hand zu weisen. Und dennoch erfaßt es nicht das ganze Spektrum Jesus.
Jesus stellt einen Weg dar. Einen Weg, der durchaus begehbar und frei wählbar ist, auch hier und heute. Der Weg des Glauben an etwas, was über unsere normale Wahrnehmung hinausgeht. Etwas, was vielleicht erst erfahrbar ist, wenn man das Leiden auf sich nimmt und ihm nicht ausweicht. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, kann auch ein ganz normaler Mensch mit vollem Recht gesagt haben.
Können Menschen durch jemanden erlöst werden?
Eine Frage, die niemand letztendlich exakt beantworten kann, ist die Frage, ob Jesus selbst sich als "Sohn Gottes" bezeichnet hat, was vermutlich so gewesen sein muß, weil er bei der Befragung nicht widerrufen hat. Ein Mensch, der sich selbst als Verkündung empfindet, wird mir aber immer suspekt sein. Derer gibt es viele und kein einziges Mal hat die Realität Wort gehalten. Im Grunde eine Anmaßung, die sich selbst Lüge straft.
Für mich ist auch dieser Gedanke wieder nur dann nachvollziehbar, wenn Jesus sich als Weg gesehen hat. Als Weg, der für JEDEN begehbar ist. Diesen Weg zu widerrufen, wäre nicht nur falsch, sondern würde den Weg für alle anderen zunichte machen. Das völlige Sich-Hingeben an den Weg macht den Weg erst existent. Das Sich-Aufgeben um zu etwas Höherem zu gelangen, schafft gleichzeitig die Nähe zu etwas Höherem, vielleicht sogar die Nähe zu Gott. Vielleicht hat Jesus sich als Sohn Gottes gesehen, so wie er alle Menschen als Kinder Gottes betrachtet hat. Allerdings Kinder, denen ihre Gottesnähe noch nicht bewußt ist.
Schwerer ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff "Lamm Gottes" - der Mensch, der geopfert wurde und damit die Sünden aller Menschen reinwusch. Der dadurch alle anderen Menschen erlöste. Eigentlich kann dies keinen Sinn machen, wenn man wie ich nicht an einen personalen Gott glaubt. Ich will es dennoch versuchen. Ich kann in der Opferung nur dann einen Sinn sehen, wenn ich sie als konsequente, selbst den Tod mit einbeziehende Verwirklichung des Glaubens betrachte. Ein Mensch, der allen anderen Menschen zeigt, daß auch das schwerste Leiden durchlebbar ist, selbst wenn es den Tod beinhaltet. Nicht der Tod ist das, was uns Angst machen muß, sondern unsere Angst davor. Ein Opfer um zu zeigen, daß der Mensch andere Möglichkeiten als die der Angst hat. Daß Leiden und Tod nur Stationen sind und nicht das Ende.
Wieso dieses Selbstopfer andere Menschen von den Sünden reinwaschen soll kann ich allerdings noch schwerer nachvollziehen als den Sinn eines Opfers. Vielleicht kann dies auch nur im Hinblick auf die Offensichlichmachung der menschlichen Möglichkeiten interpretiert werden. Der Mensch ist der Sünde nicht ausgeliefert. Die Sünde steckt nicht in ihm, wie eine unausweichliche Krankheit. Sünde kann überwunden werden. Der Mensch ist in der Lage, über sich selbst hinauszugehen. Er kann sich selbst schaffen. Und er kann dabei einen Funken der Göttlichkeit spüren. Göttlichkeit ist dann spürbar, wenn die eigenen Grenzen durchschritten werden und der Mensch wieder eins wird mit dem Ganzen. Das wonach wir uns alle sehnen.
Jesus als Ersatz für gerechte Menschen?
Der am meisten vorgebrachte Vorwurf der Religionskritiker ist der Vorwurf der Flucht in den Glauben. Und den kann und sollte man nicht so einfach von der Hand weisen. Flucht in den Glauben heißt, daß wir die Neigung haben, bei den realen Problemen, für die es keine Lösung zu geben scheint, Zuflucht im Glauben nehmen.
Auch wenn Marx das Gegenteil behauptet - Menschen nutzen einander aus, Menschen tun einander weh, Menschen denken zuallererst an sich selbst und vor allem: auf Menschen kann man sich nicht sicher verlassen. Das sind äußerst schmerzhafte Erfahrungen und Gefühle. Das Gefühl des Alleingelassenseins, des Verrats und des Betrugs ist ein quälendens und ängstigendes Gefühl. Dieses Gefühl wollen wir nicht. Wir möchten uns verlassen können und wir möchten von jemanden um unser selbst willen geliebt werden. Jesus erfüllt alle diese Wünsche. Wir sind nicht mehr allein und wir können uns auf ihn sicher verlassen. Wenn wir zu den Wenigen gehören, für die Gerechtigkeit und Nächstenliebe wichtig ist, gibt uns Jesus das Gefühl, daß dies nicht umsonst ist, weil es noch eine andere Wirklichkeit gibt.
Dieser Punkt ist der, der mich am meisten zweifeln läßt und auf den ich keine Antwort gefunden habe. Gibt es das "Prinzip Jesus" tatsächlich nur, weil wir es aus unserer großen Sehnsucht heraus erfunden haben? Ist es nicht vielmehr so, wie Sartre es formuliert: unser Grundproblem ist, daß wir wir unsere Existenz ohne Gott bewältigen müssen und ohne einen tieferen Sinn? Nur weil wir dies nicht ertragen können, haben wir uns einen Gott geschaffen?
Ich lebe Zeiten, in denen ich an Jesus glaube und dadurch viel Kraft habe. Und ich lebe Zeiten, in denen ich nicht an ihn glauben kann und eine tiefe Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit verspüre. Besonders, wenn man mit Menschen zusammenarbeitet, die nur an ihren Vorteil denken und für die Gemeinwohl überhaupt keine Bedeutung hat, kann der Glaube an Jesus eine enorme Kraftquelle darstellen.
Ich sage mir manchmal, daß so eine enorme Kraftquelle nicht aus dem Nichts kommen kann. Diese Kraftquelle ist für die Seele so etwas ähnliches wie Nahrung für den Körper. Nahrung bilden wir uns auch nicht ein.
Die Quantenphysik sagt, daß Realität durch Beobachtung entsteht und es überhaupt keine unabhängige Realität gibt. Wenn ich Jesus in mir, um mich herum spüre, existiert er dann wirklich? Ist Jesus ein archaisches Prinzip, daß sich im Menschen verwirklichen kann aber nicht zwangsläufig muß? Ist es der Teil im Menschen, der erst durch Glauben wiederbelebt werden muß, damit er eixistieren kann? Ein Teil in mir. Eine menschgewordene Kraft, die vom Mensch wahrgenommen werden muß, damit sie leben kann?
Jesus aus der Sicht von C.G.Jung
Vor kurzem hab ich das Buch "Das Geheimnis der goldenen Blüte" gelesen, ein Gemeinschaftswerk von C.G. Jung und Richard Wilhelm (ein Sinologe) aus dem Jahr 1929.
Für mich ist dieses Buch genau das, was ich schon lange suche, ein Versuch, dem Phänomen Gott durch die Synthese aus abendländischer und asiatischer Philosophie und Religion näherzukommen. Und Jung zieht Parallelen zum Glauben an Jesus und der östlichen Vorstellung von der Vervollkommnung des Menschen. Hier eine Zusammenfassung:
Es handelt sich um die Veränderung im inneren Gefühl, die jener ähnlich ist, welche ein Vater, dem ein Sohn geboren wird, erfährt, eine Veränderung, die uns auch durch das Bekenntnis des Apostels Paulus bekannt ist: „ Doch nun nicht ich lebe, sondern Christus lebet in mir.“ Das Symbol „Christus“ ist als „Sohn des Menschen“ eine analoge psychische Erfahrung von einem höheren geistigen Wesen menschlicher Gestalt, das unsichtbar im einzelnen geboren wird, ein pneumatischer Leib, der uns zur zukünftigen Behausung dienen wird, den man, wie Paulus sich ausdrückt, anzieht wie ein Kleid („die Ihr Christum angezogen habt“.)
Es ist in einem gewissen Sinn das Gefühl des „Ersetztseins“, allerdings ohne die Beimischung von „Abgesetztsein“. Es ist, als wenn die Leitung der Lebensgeschäfte an eine unsichtbare Zentralstelle übergegangen wäre. Nietzsches Metapher „frei in liebevollem Muß“ dürfte nicht ganz unpassend hierfür sein. Die religiöse Sprache ist reich an bildhaften Ausdrücken, welche dieses Gefühl der freien Abhängigkeit, der Stille und Ergebenheit schildern.
In dieser merkwürdigen Erfahrung erblickt Jung eine Folgeerscheinung der Loslösung des Bewußtseins, vermöge welcher das subjektive „Ich lebe“ zu einem objektiven „Es lebt mich“ wird. Dieser Zustand wird als eine Art von Erlösung vom Zwang und unmöglicher Verantwortung, welche unweigerliche Folgen der participation mystique sind. Dieses Gefühl der Befreiung erfüllt Paulus völlig, es ist das Bewußtsein der Gotteskindschaft, welches aus dem Bann des Blutes erlöst. Es ist auch ein Gefühl von Versöhnung mit dem Geschehenen überhaupt, weshalb der Blick des Vollendeten im Hui Ming Ging zur Schönheit der Natur zurückkehrt.
Im paulinischen Christussymbol berührt sich höchste religiöse Erfahrung von West und Ost. Der Westen betont die Menschwerdung und sogar die Person und die Historizität Christi, der Osten dagegen sagt: „ Ohne Entstehen, ohne Vergehen, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft.“ Der östliche Mensch weiß, daß die Erlösung auf dem Werk beruht, daß einer an sich selbst tut. Aus dem einzelnen wächst das ganze Tao. Die Imitato Christi wird auf die Dauer den Nachteil haben, daß wir einen Menschen als göttliches Vorbild verehren, der höchsten Sinn verkörperte, und vor lauter Nachahmung vergessen, unsern eigenen höchsten Sinn zu verwirklichen. Hätte Jesus das getan, so wäre er wohl ein ehrbarer Zimmermann geworden und kein religiöser Aufrührer, dem es heut natürlich ähnlich erginge wie damals.
Rein konkrete Tabus oder magische Riten einer religiösen Vorstufe werden auf der nächsten Stufe zu einer seelischen Angelegenheit oder zu rein geistigen Symbolen. Äußerliches Gesetz wird im Laufe der Entwicklung zu innerer Gesinnung. Die im historischen Raume außen befindliche Person Jesu kann zum höheren Menschen im Menschen werden, ein höherer Mensch, der ungeachtet des Leidens, das Christussymbol verwirklicht. Damit wäre jener psychologische Zustand, welcher dem des Erleuchteten in der östlichen Auffassung entspricht, europäisch erreicht.
Jesus im Vergleich zu Buddha aus Sicht des Dalai Lamas
In der Diskussion mit westlichen Christen über das Wesen der Religion wurde der Dalai Lama gefragt, wie sich seiner Ansicht nach ein absolutes Prinzip wie der göttliche Schöpfer in einer historischen Gestalt wie Christus manifestieren kann. Worin genau besteht die Natur, das Wesen dieser Beziehung, und welche Mechanismen könnten die Beziehung erklären zwischen dem Absoluten in seiner Zeitlosigkeit und einer historischen Gestalt, die zeitgebunden ist?
Der Dalai Lama antwortet darauf, daß im buddhistischen Kontext diese Frage unter einem Aspekt betrachtet werden würde, den man die Lehre von den drei Kayas, den drei Verkörperungen eines erleuchteten Wesens, bezeichnet. In diesem Rahmen wird die physische, historische Manifestation erleuchteter Wesen in gewissem Sinn als spontanes In-Erscheinung-Treten aus dem zeitlosen, letztendlichen Zustand des Dharmakaya, des "Wahrheitskörpers" eines Buddha, angesehen.
Bestimmten Lehrmeinungen zufolge wird Buddha nicht bloß als eine historische Gestalt angesehen, sondern er hat auch an einer zeitlosen, unendlichen Dimension teil. Auch in diesem Kontext ist Buddha eine historische Gestalt. Doch würde man die Geschichtlichkeit Buddhas als mitfühlende Buddha-Aktivität ansehen, die in meisterlicher Vollkommenheit in Erscheinung tritt: als Manifestation der zeitlosvollendeten Seinsweise des Dharmakaya, des "Wahrheitskörpers". Buddha wird auch als der Nirmankaya bezeichnet, was "Ausstrahlungskörper" bedeutet: Die Buddha-Aktivität nimmt eine solche Ausstrahlung oder Emanation an, um in bezug auf die geistigen Veranlagungen und Erfordernisse einem bestimmten Zeitpunkt, Ort und Kontext gerecht zu werden.
Ich selbst habe die Erklärung nicht vollständig verstanden, aber die Vorstellung, daß ein Mensch wie Jesus ein "spontanes In-Erscheinung-Treten aus einer zeitlosen letztendlichen Wahrheit" ist, kommt meiner Vorstellung und meiner Suche schon sehr nah. Zwar noch nicht so, wie ich es mir wünschen würde, aber in der Meditation tauchen Assoziationen auf, die diesem Bild sehr ähnlich sind. Mir fällt dabei auch der Gedanke ein, daß ein Mensch die Wahrheit niemals wissen, sondern nur verkörpern kann. Jesus als verkörperte Wahrheit - biblisch ausgedrückt - als fleischgewordenes Wort. Mystisch genug um die Vorstellung eines ganz normalen Menschen zu überschreiten und nicht zu mystisch um die Gefahr des Abrutschens ins Abergläubische zu beinhalten.
Fortsetzung folgt
An Gott zu glauben ohne dabei einen personalen Gott vor Augen zu haben und sich dabei (auch) mit der Bibel zu auseinanderzusetzen, ist nicht so einfach. Noch schwieriger ist es jedoch, sich mit Jesus zu beschäftigen, wenn man die Bibel allegorisch liest und Gott eben nicht als Vater begreift. Wenn man an keinen Gottesvater glaubt, kann man auch nicht an einen Gottessohn glauben.
Kann man trotzdem an Jesus glauben? Jenseits von Bibel und biblischen Geboten? Was kann Jesus mir bedeuten, wenn ich die Bibel als ein von Menschen geschriebenes Werk ansehe und wenn ich nicht daran glaube, daß Jesus göttlich war und Wunder getan hat?
Ich kann tun was ich will; ignorieren kann ich Jesus nicht. Nur auf eine historische Persönlichkeit reduzieren kann ich ihn auch nicht. Er muß mehr sein, denn sonst hätte er nicht soviel Einfluß gehabt. Was ist es dann also?
Jesus als Weg der Leidensüberwindung?
Jesus stellt für mich einen Archetyp dar. Ein Archetyp, der die absolute und konsequente Gewaltlosigkeit symbolisiert. Absolut im wahrsten Sinne: selbst den Tod in letzter Konsequenz hinnehmend. Dadurch wiederum stellt er das Neue dar; denn alles Bisherige ist durch Gewalt und Kampf gezeichnet. Die völlige Hingabe an Gewaltlosigkeit bedeutet gleichzeitig auch das Ende der Gewalt, denn Gewalt braucht Gegengewalt, sonst läuft sie ins Leere.
Aber das ist nur ein Aspekt meines Jesusbildes. Jesus ist auch ein Symbol für das Ertragen von Leiden. Das Nicht-Ausweichen vor dem Leiden. Die Fähigkeit des Leidens, die nur der haben kann, der vor dem Leiden nicht flieht. Leidensfähigkeit ist eine der größten Stärken überhaupt. Wer fähig ist zu leiden, der wird seinen Weg gehen und sich nicht aufhalten lassen. Der kann in Dimensionen gelangen, die anderen völlig unbekannt sind.
Menschliches Leben heißt Leiden. Der große Denkfehler des Marxismus war die Annahme, alles Leiden käme einzig und allein aus der Ungerechtigkeit heraus. Gib den Menschen einen gerechten Lohn, Mitbestimmung und humane Arbeitsbedingungen und das Leid ist verschwunden. So banal und eindimensional ist das Leben aber nicht. Auch der beste Lohn, die humanste Arbeit und eine schöne Wohnung können nichts an der Tatsache ändern, daß Menschen sterben müssen. Das Menschen alt und krank werden und dem Tod ins Auge sehen müssen. Und daß ein Mensch im Laufe seines Lebens viele andere Menschen verliert. Da ist es schwer, eine Sinnhaftigkeit zu finden, wenn man auf rein materielle und gesellschaftliche Werte reduziert ist.
Jesus als Versuch der Sinngebung?
Also Jesus als Sinngebung für ein im Grunde sinnloses Dasein? Für den Glauben an eine Unsterblichkeit? Für die Lobpreisung des Leidens, weil man es nun mal nicht verhindern kann? Das wäre eine sehr einfache Erklärung im Sinne Feuerbachs, der den Glauben an Götter auf Ängste und den Wunsch nach deren Abhilfe zurückführt. Oder so, wie die Existenzialisten den Glauben als eine Flucht vor der Absurdität und Sinnentleerung ansehen. Beides ist sicher nicht völlig von der Hand zu weisen. Und dennoch erfaßt es nicht das ganze Spektrum Jesus.
Jesus stellt einen Weg dar. Einen Weg, der durchaus begehbar und frei wählbar ist, auch hier und heute. Der Weg des Glauben an etwas, was über unsere normale Wahrnehmung hinausgeht. Etwas, was vielleicht erst erfahrbar ist, wenn man das Leiden auf sich nimmt und ihm nicht ausweicht. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, kann auch ein ganz normaler Mensch mit vollem Recht gesagt haben.
Können Menschen durch jemanden erlöst werden?
Eine Frage, die niemand letztendlich exakt beantworten kann, ist die Frage, ob Jesus selbst sich als "Sohn Gottes" bezeichnet hat, was vermutlich so gewesen sein muß, weil er bei der Befragung nicht widerrufen hat. Ein Mensch, der sich selbst als Verkündung empfindet, wird mir aber immer suspekt sein. Derer gibt es viele und kein einziges Mal hat die Realität Wort gehalten. Im Grunde eine Anmaßung, die sich selbst Lüge straft.
Für mich ist auch dieser Gedanke wieder nur dann nachvollziehbar, wenn Jesus sich als Weg gesehen hat. Als Weg, der für JEDEN begehbar ist. Diesen Weg zu widerrufen, wäre nicht nur falsch, sondern würde den Weg für alle anderen zunichte machen. Das völlige Sich-Hingeben an den Weg macht den Weg erst existent. Das Sich-Aufgeben um zu etwas Höherem zu gelangen, schafft gleichzeitig die Nähe zu etwas Höherem, vielleicht sogar die Nähe zu Gott. Vielleicht hat Jesus sich als Sohn Gottes gesehen, so wie er alle Menschen als Kinder Gottes betrachtet hat. Allerdings Kinder, denen ihre Gottesnähe noch nicht bewußt ist.
Schwerer ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff "Lamm Gottes" - der Mensch, der geopfert wurde und damit die Sünden aller Menschen reinwusch. Der dadurch alle anderen Menschen erlöste. Eigentlich kann dies keinen Sinn machen, wenn man wie ich nicht an einen personalen Gott glaubt. Ich will es dennoch versuchen. Ich kann in der Opferung nur dann einen Sinn sehen, wenn ich sie als konsequente, selbst den Tod mit einbeziehende Verwirklichung des Glaubens betrachte. Ein Mensch, der allen anderen Menschen zeigt, daß auch das schwerste Leiden durchlebbar ist, selbst wenn es den Tod beinhaltet. Nicht der Tod ist das, was uns Angst machen muß, sondern unsere Angst davor. Ein Opfer um zu zeigen, daß der Mensch andere Möglichkeiten als die der Angst hat. Daß Leiden und Tod nur Stationen sind und nicht das Ende.
Wieso dieses Selbstopfer andere Menschen von den Sünden reinwaschen soll kann ich allerdings noch schwerer nachvollziehen als den Sinn eines Opfers. Vielleicht kann dies auch nur im Hinblick auf die Offensichlichmachung der menschlichen Möglichkeiten interpretiert werden. Der Mensch ist der Sünde nicht ausgeliefert. Die Sünde steckt nicht in ihm, wie eine unausweichliche Krankheit. Sünde kann überwunden werden. Der Mensch ist in der Lage, über sich selbst hinauszugehen. Er kann sich selbst schaffen. Und er kann dabei einen Funken der Göttlichkeit spüren. Göttlichkeit ist dann spürbar, wenn die eigenen Grenzen durchschritten werden und der Mensch wieder eins wird mit dem Ganzen. Das wonach wir uns alle sehnen.
Jesus als Ersatz für gerechte Menschen?
Der am meisten vorgebrachte Vorwurf der Religionskritiker ist der Vorwurf der Flucht in den Glauben. Und den kann und sollte man nicht so einfach von der Hand weisen. Flucht in den Glauben heißt, daß wir die Neigung haben, bei den realen Problemen, für die es keine Lösung zu geben scheint, Zuflucht im Glauben nehmen.
Auch wenn Marx das Gegenteil behauptet - Menschen nutzen einander aus, Menschen tun einander weh, Menschen denken zuallererst an sich selbst und vor allem: auf Menschen kann man sich nicht sicher verlassen. Das sind äußerst schmerzhafte Erfahrungen und Gefühle. Das Gefühl des Alleingelassenseins, des Verrats und des Betrugs ist ein quälendens und ängstigendes Gefühl. Dieses Gefühl wollen wir nicht. Wir möchten uns verlassen können und wir möchten von jemanden um unser selbst willen geliebt werden. Jesus erfüllt alle diese Wünsche. Wir sind nicht mehr allein und wir können uns auf ihn sicher verlassen. Wenn wir zu den Wenigen gehören, für die Gerechtigkeit und Nächstenliebe wichtig ist, gibt uns Jesus das Gefühl, daß dies nicht umsonst ist, weil es noch eine andere Wirklichkeit gibt.
Dieser Punkt ist der, der mich am meisten zweifeln läßt und auf den ich keine Antwort gefunden habe. Gibt es das "Prinzip Jesus" tatsächlich nur, weil wir es aus unserer großen Sehnsucht heraus erfunden haben? Ist es nicht vielmehr so, wie Sartre es formuliert: unser Grundproblem ist, daß wir wir unsere Existenz ohne Gott bewältigen müssen und ohne einen tieferen Sinn? Nur weil wir dies nicht ertragen können, haben wir uns einen Gott geschaffen?
Ich lebe Zeiten, in denen ich an Jesus glaube und dadurch viel Kraft habe. Und ich lebe Zeiten, in denen ich nicht an ihn glauben kann und eine tiefe Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit verspüre. Besonders, wenn man mit Menschen zusammenarbeitet, die nur an ihren Vorteil denken und für die Gemeinwohl überhaupt keine Bedeutung hat, kann der Glaube an Jesus eine enorme Kraftquelle darstellen.
Ich sage mir manchmal, daß so eine enorme Kraftquelle nicht aus dem Nichts kommen kann. Diese Kraftquelle ist für die Seele so etwas ähnliches wie Nahrung für den Körper. Nahrung bilden wir uns auch nicht ein.
Die Quantenphysik sagt, daß Realität durch Beobachtung entsteht und es überhaupt keine unabhängige Realität gibt. Wenn ich Jesus in mir, um mich herum spüre, existiert er dann wirklich? Ist Jesus ein archaisches Prinzip, daß sich im Menschen verwirklichen kann aber nicht zwangsläufig muß? Ist es der Teil im Menschen, der erst durch Glauben wiederbelebt werden muß, damit er eixistieren kann? Ein Teil in mir. Eine menschgewordene Kraft, die vom Mensch wahrgenommen werden muß, damit sie leben kann?
Jesus aus der Sicht von C.G.Jung
Vor kurzem hab ich das Buch "Das Geheimnis der goldenen Blüte" gelesen, ein Gemeinschaftswerk von C.G. Jung und Richard Wilhelm (ein Sinologe) aus dem Jahr 1929.
Für mich ist dieses Buch genau das, was ich schon lange suche, ein Versuch, dem Phänomen Gott durch die Synthese aus abendländischer und asiatischer Philosophie und Religion näherzukommen. Und Jung zieht Parallelen zum Glauben an Jesus und der östlichen Vorstellung von der Vervollkommnung des Menschen. Hier eine Zusammenfassung:
Es handelt sich um die Veränderung im inneren Gefühl, die jener ähnlich ist, welche ein Vater, dem ein Sohn geboren wird, erfährt, eine Veränderung, die uns auch durch das Bekenntnis des Apostels Paulus bekannt ist: „ Doch nun nicht ich lebe, sondern Christus lebet in mir.“ Das Symbol „Christus“ ist als „Sohn des Menschen“ eine analoge psychische Erfahrung von einem höheren geistigen Wesen menschlicher Gestalt, das unsichtbar im einzelnen geboren wird, ein pneumatischer Leib, der uns zur zukünftigen Behausung dienen wird, den man, wie Paulus sich ausdrückt, anzieht wie ein Kleid („die Ihr Christum angezogen habt“.)
Es ist in einem gewissen Sinn das Gefühl des „Ersetztseins“, allerdings ohne die Beimischung von „Abgesetztsein“. Es ist, als wenn die Leitung der Lebensgeschäfte an eine unsichtbare Zentralstelle übergegangen wäre. Nietzsches Metapher „frei in liebevollem Muß“ dürfte nicht ganz unpassend hierfür sein. Die religiöse Sprache ist reich an bildhaften Ausdrücken, welche dieses Gefühl der freien Abhängigkeit, der Stille und Ergebenheit schildern.
In dieser merkwürdigen Erfahrung erblickt Jung eine Folgeerscheinung der Loslösung des Bewußtseins, vermöge welcher das subjektive „Ich lebe“ zu einem objektiven „Es lebt mich“ wird. Dieser Zustand wird als eine Art von Erlösung vom Zwang und unmöglicher Verantwortung, welche unweigerliche Folgen der participation mystique sind. Dieses Gefühl der Befreiung erfüllt Paulus völlig, es ist das Bewußtsein der Gotteskindschaft, welches aus dem Bann des Blutes erlöst. Es ist auch ein Gefühl von Versöhnung mit dem Geschehenen überhaupt, weshalb der Blick des Vollendeten im Hui Ming Ging zur Schönheit der Natur zurückkehrt.
Im paulinischen Christussymbol berührt sich höchste religiöse Erfahrung von West und Ost. Der Westen betont die Menschwerdung und sogar die Person und die Historizität Christi, der Osten dagegen sagt: „ Ohne Entstehen, ohne Vergehen, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft.“ Der östliche Mensch weiß, daß die Erlösung auf dem Werk beruht, daß einer an sich selbst tut. Aus dem einzelnen wächst das ganze Tao. Die Imitato Christi wird auf die Dauer den Nachteil haben, daß wir einen Menschen als göttliches Vorbild verehren, der höchsten Sinn verkörperte, und vor lauter Nachahmung vergessen, unsern eigenen höchsten Sinn zu verwirklichen. Hätte Jesus das getan, so wäre er wohl ein ehrbarer Zimmermann geworden und kein religiöser Aufrührer, dem es heut natürlich ähnlich erginge wie damals.
Rein konkrete Tabus oder magische Riten einer religiösen Vorstufe werden auf der nächsten Stufe zu einer seelischen Angelegenheit oder zu rein geistigen Symbolen. Äußerliches Gesetz wird im Laufe der Entwicklung zu innerer Gesinnung. Die im historischen Raume außen befindliche Person Jesu kann zum höheren Menschen im Menschen werden, ein höherer Mensch, der ungeachtet des Leidens, das Christussymbol verwirklicht. Damit wäre jener psychologische Zustand, welcher dem des Erleuchteten in der östlichen Auffassung entspricht, europäisch erreicht.
Jesus im Vergleich zu Buddha aus Sicht des Dalai Lamas
In der Diskussion mit westlichen Christen über das Wesen der Religion wurde der Dalai Lama gefragt, wie sich seiner Ansicht nach ein absolutes Prinzip wie der göttliche Schöpfer in einer historischen Gestalt wie Christus manifestieren kann. Worin genau besteht die Natur, das Wesen dieser Beziehung, und welche Mechanismen könnten die Beziehung erklären zwischen dem Absoluten in seiner Zeitlosigkeit und einer historischen Gestalt, die zeitgebunden ist?
Der Dalai Lama antwortet darauf, daß im buddhistischen Kontext diese Frage unter einem Aspekt betrachtet werden würde, den man die Lehre von den drei Kayas, den drei Verkörperungen eines erleuchteten Wesens, bezeichnet. In diesem Rahmen wird die physische, historische Manifestation erleuchteter Wesen in gewissem Sinn als spontanes In-Erscheinung-Treten aus dem zeitlosen, letztendlichen Zustand des Dharmakaya, des "Wahrheitskörpers" eines Buddha, angesehen.
Bestimmten Lehrmeinungen zufolge wird Buddha nicht bloß als eine historische Gestalt angesehen, sondern er hat auch an einer zeitlosen, unendlichen Dimension teil. Auch in diesem Kontext ist Buddha eine historische Gestalt. Doch würde man die Geschichtlichkeit Buddhas als mitfühlende Buddha-Aktivität ansehen, die in meisterlicher Vollkommenheit in Erscheinung tritt: als Manifestation der zeitlosvollendeten Seinsweise des Dharmakaya, des "Wahrheitskörpers". Buddha wird auch als der Nirmankaya bezeichnet, was "Ausstrahlungskörper" bedeutet: Die Buddha-Aktivität nimmt eine solche Ausstrahlung oder Emanation an, um in bezug auf die geistigen Veranlagungen und Erfordernisse einem bestimmten Zeitpunkt, Ort und Kontext gerecht zu werden.
Ich selbst habe die Erklärung nicht vollständig verstanden, aber die Vorstellung, daß ein Mensch wie Jesus ein "spontanes In-Erscheinung-Treten aus einer zeitlosen letztendlichen Wahrheit" ist, kommt meiner Vorstellung und meiner Suche schon sehr nah. Zwar noch nicht so, wie ich es mir wünschen würde, aber in der Meditation tauchen Assoziationen auf, die diesem Bild sehr ähnlich sind. Mir fällt dabei auch der Gedanke ein, daß ein Mensch die Wahrheit niemals wissen, sondern nur verkörpern kann. Jesus als verkörperte Wahrheit - biblisch ausgedrückt - als fleischgewordenes Wort. Mystisch genug um die Vorstellung eines ganz normalen Menschen zu überschreiten und nicht zu mystisch um die Gefahr des Abrutschens ins Abergläubische zu beinhalten.
Fortsetzung folgt
... link (0 Kommentare) ... comment
... older stories