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Montag, 10. März 2008
Ein Rest von Glauben
lilith2, 09:09h
Ein erstes Zeichen beginnender Erkenntnis ist der Wunsch zu sterben. Dieses Leben scheint unerträglich, ein anderes unerreichbar. Man schämt sich nicht mehr, sterben zu wollen; man bittet, aus der alten Zelle, die man haßt, in eine neue gebracht zu werden, die man erst hassen lernen wird. Ein Rest von Glauben wirkt dabei mit, während des Transportes werde zufällig der Herr durch den Gang kommen, den Gefangenen ansehen und sagen: "Diesen sollt ihr nicht wieder einsperren. Er kommt zu mir."
Franz Kafka (1883 - 1924)
Franz Kafka (1883 - 1924)
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Freitag, 7. März 2008
Affectus desinit esse passio
lilith2, 12:50h
Ein Freitod kann einen tieferen Sinn haben, wenn durch ihn das Leben wieder authentisch wird. Wenn der Tod als eine authentische Handlung das Leben wieder vervollkommnet. Wenn mit ihm das Existenzielle eines Lebens ausgesagt werden kann und ein halbes Leben wieder ganz wird.
Ich lehne die Gotteskrieger, die Märthyrer der Religionen und der Ideologien vollständig ab. Dennoch kommt man nicht umhin, sich nach dem "Warum" zu fragen. Vielleicht ist einem extrem gläubigen Menschen der in seinem Leben verwirklichte Glauben zu wenig, nur eine halbe Sache. Wenn ich an die Buddhisten denke, die sich für ihren Glauben verbrannt haben, dann ist deren Tod kein Opfer, sondern der Vollzug des Glaubens. Vielleicht waren sie dabei nicht resigniert sondern glücklich. Dietrich Bonhöfer und andere Christen, die ihren Tod zu einem Teil ihres Glaubens gemacht haben, werden vielleicht die Minuten vor ihrem Tod nicht nur Angst und Verzweiflung gespürt haben, sondern auch ein anderes Gefühl - das Gefühl der Hingabe an eine Sache, der Verschmelzung mit etwas Höherem.
Aber auch manche derjenigen, die sich nicht aus einem religiösen Grund das Leben genommen haben, sind vielleicht nicht ausschließlich in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in den Tod gegangen. Vielleicht war der Tod ihr Lebenswerk oder zumindest Teil ihres Lebenswerks. Vielleicht ist es eine Aufrichtigkeit des Gefühls, ein Ausleben-wollen der eigenen Werte. Keine Kapitulation sondern im Gegenteil ein Sieg der Hingabe an sich selbst. Ganz sein wollen - Vereinigung.
Für Materialisten ist es völlig unsinnig etwas zu tun, was den Tod beinhaltet, da sie den Tod vollständig ausblenden, er existiert nur als biologische Gegebenheit. Ich glaube aber nicht, daß Psychoanalyse & Co das Phänomen des Freitods völlig verstehen können, weil sie den Menschen in seinem Sein niemals ganz erfassen. So wie Blaise Pascal formuliert, daß der Mensch zwar unendlich ist, aber selbst nicht in der Lage, das Unendliche zu erkennen. Der Mensch ist in seiner Erkenntnis gefangen in den Vorstellungen von Raum und Zeit und kann sich auch nur innerhalb dieser eng gesetzten Grenzen gedanklich bewegen.
Diese Gedanken haben nichts, aber auch gar nichts mit dem "Spring doch" einer geifernden Masse gemeinsam, die dumpf und grobschlächtig einen Selbstmörder anfeuern. Ich selbst würde (und habe!) jeden an einem Selbstmord hindern, auch wenn das in Zusammenhang mit meinen Gedanken auf den ersten Blick unlogisch erscheint. Sollte es das oft postulierte Recht auf Selbstmord geben, dann gibt es auch das Recht auf Verhinderung eines Selbstmordes.
Ich lehne die Gotteskrieger, die Märthyrer der Religionen und der Ideologien vollständig ab. Dennoch kommt man nicht umhin, sich nach dem "Warum" zu fragen. Vielleicht ist einem extrem gläubigen Menschen der in seinem Leben verwirklichte Glauben zu wenig, nur eine halbe Sache. Wenn ich an die Buddhisten denke, die sich für ihren Glauben verbrannt haben, dann ist deren Tod kein Opfer, sondern der Vollzug des Glaubens. Vielleicht waren sie dabei nicht resigniert sondern glücklich. Dietrich Bonhöfer und andere Christen, die ihren Tod zu einem Teil ihres Glaubens gemacht haben, werden vielleicht die Minuten vor ihrem Tod nicht nur Angst und Verzweiflung gespürt haben, sondern auch ein anderes Gefühl - das Gefühl der Hingabe an eine Sache, der Verschmelzung mit etwas Höherem.
Aber auch manche derjenigen, die sich nicht aus einem religiösen Grund das Leben genommen haben, sind vielleicht nicht ausschließlich in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in den Tod gegangen. Vielleicht war der Tod ihr Lebenswerk oder zumindest Teil ihres Lebenswerks. Vielleicht ist es eine Aufrichtigkeit des Gefühls, ein Ausleben-wollen der eigenen Werte. Keine Kapitulation sondern im Gegenteil ein Sieg der Hingabe an sich selbst. Ganz sein wollen - Vereinigung.
Für Materialisten ist es völlig unsinnig etwas zu tun, was den Tod beinhaltet, da sie den Tod vollständig ausblenden, er existiert nur als biologische Gegebenheit. Ich glaube aber nicht, daß Psychoanalyse & Co das Phänomen des Freitods völlig verstehen können, weil sie den Menschen in seinem Sein niemals ganz erfassen. So wie Blaise Pascal formuliert, daß der Mensch zwar unendlich ist, aber selbst nicht in der Lage, das Unendliche zu erkennen. Der Mensch ist in seiner Erkenntnis gefangen in den Vorstellungen von Raum und Zeit und kann sich auch nur innerhalb dieser eng gesetzten Grenzen gedanklich bewegen.
Diese Gedanken haben nichts, aber auch gar nichts mit dem "Spring doch" einer geifernden Masse gemeinsam, die dumpf und grobschlächtig einen Selbstmörder anfeuern. Ich selbst würde (und habe!) jeden an einem Selbstmord hindern, auch wenn das in Zusammenhang mit meinen Gedanken auf den ersten Blick unlogisch erscheint. Sollte es das oft postulierte Recht auf Selbstmord geben, dann gibt es auch das Recht auf Verhinderung eines Selbstmordes.
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Donnerstag, 6. März 2008
Victor Frankl - ....trotzdem Ja zum Leben sagen"
lilith2, 11:43h
Zitate aus Viktor Frankls „....trotzdem Ja zum Leben sagen“
Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie hat das KZ überlebt. In dieser der extremsten aller Situationen, in der der Mensch mißhandelt und zum Tier degradiert wird, hat er es gewagt, sich mit der Sinnfrage zu beschäftigen. Mit der Frage, ob Leben auch dann noch einen Sinn macht, wenn es nur noch aus Mißhandlung, Demütigung und Warten auf den Tod besteht. Victor Frankl hat gewagt, auch dieser Situation noch einen Sinn zu geben. Ich möchte ein paar Textstellen zitieren:
Und dann sprach ich schließlich auch noch von der Vielfalt der Möglichkeiten, das Leben mit Sinn zu erfüllen. Ich erzählte meinen Kameraden (die ganz still dalagen und sichkaum rührten, höchsten ab und zu ein ergriffenes Seufzen hören ließen) davon, daß menschliches Leben immer und unter allen Umständen Sinn habe, und daß dieser unendliche Sinn des Daseins auch noch Leiden und Sterben, Not und Tod in sich mit einbegreife.
Und dann sprach ich , zum Schluß, von unserem Opfer; daß es Sinn habe, auf jeden Fall. Daß es im Wesen des Opfers liege, unter der Voraussetzung gebracht zu werden, daß scheinbar, daß in dieser Welt - in der Welt des Erfolgs- nichts damit erreicht würde.
Leiden und Sterben ist nicht sinnlos, sondern – als Opfer – voll tiefsten Sinnes geworden.
Aus all dem können wir lernen: es gibt auf Erden zwei Menschenrassen, aber auch nur diese beiden: die „Rasse der anständigen Menschen und die der unanständigen Menschen“.
Der Mensch muß sich auch dem Leid gegenüber zu dem Bewusstsein durchringen, daß er mit diesem leidvollen Schicksal sozusagen im ganzen Kosmos einmalig und einzigartig dasteht.
Für uns hatte das Leiden seinen Leistungscharakter enthüllt – jenen Leistungscharakter, der einen Rilke bewogen hat, auszurufen: „Wieviel ist aufzuleiden!“ Wie man von „aufzuarbeiten“ spricht, so spricht hier Rilke von „aufleiden“.
Für uns war wohl viel „aufzuleiden“. Darum war es aber auch notwendig, den Dingen, der Leidfülle ins Gesicht zu sehen. .... Die Tränen bürgten dafür, daß man den größten Mut hatte: den Mut zum Leiden!
Dieses Bruchstück von einem Leben wird ganz, wenn ich es lasse – wenn ich es hingebe... Nimm das Leben – nimm es an, das Opfer - - für sie – für die anderen - auch für den dort drüben meinetwegen.
-----------
Das Buch Victor Frankls endet mit einer „methaphysischen Conferènce“ in der gleichzeitig zu einer Szene im KZ auch die tote Mutter und der tote Bruder eines Häftlings sowie Sokrates, Kant und Spinoza anwesend sind.
Auszug:
Spinoza: der Junge liegt am Boden – er blutet schon.
Sokrates: aber er spricht nicht!
Kant: Wie? - Er sagt nicht aus? Trotz der Schläge nicht!
Sokrates: Nein, - er schweigt, er bleibt standhaft.
Spinoza (aufgewühlt): Sehen Sie – er leidet. Er muß furchtbar leiden – könnte ich ihm doch helfen! – Ach, was bin ich! – Geschrieben hab ich – aber es wird nicht gelesen, und es wird nicht verstanden. Was hab ich ihnen nicht alles zugerufen, den Menschen! Affectus desinit esse passio....das Leben hört auf, Leiden zu sein... aber sie haben nicht gehört, wie sie es anstellen müssen, die Menschen.
Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie hat das KZ überlebt. In dieser der extremsten aller Situationen, in der der Mensch mißhandelt und zum Tier degradiert wird, hat er es gewagt, sich mit der Sinnfrage zu beschäftigen. Mit der Frage, ob Leben auch dann noch einen Sinn macht, wenn es nur noch aus Mißhandlung, Demütigung und Warten auf den Tod besteht. Victor Frankl hat gewagt, auch dieser Situation noch einen Sinn zu geben. Ich möchte ein paar Textstellen zitieren:
Und dann sprach ich schließlich auch noch von der Vielfalt der Möglichkeiten, das Leben mit Sinn zu erfüllen. Ich erzählte meinen Kameraden (die ganz still dalagen und sichkaum rührten, höchsten ab und zu ein ergriffenes Seufzen hören ließen) davon, daß menschliches Leben immer und unter allen Umständen Sinn habe, und daß dieser unendliche Sinn des Daseins auch noch Leiden und Sterben, Not und Tod in sich mit einbegreife.
Und dann sprach ich , zum Schluß, von unserem Opfer; daß es Sinn habe, auf jeden Fall. Daß es im Wesen des Opfers liege, unter der Voraussetzung gebracht zu werden, daß scheinbar, daß in dieser Welt - in der Welt des Erfolgs- nichts damit erreicht würde.
Leiden und Sterben ist nicht sinnlos, sondern – als Opfer – voll tiefsten Sinnes geworden.
Aus all dem können wir lernen: es gibt auf Erden zwei Menschenrassen, aber auch nur diese beiden: die „Rasse der anständigen Menschen und die der unanständigen Menschen“.
Der Mensch muß sich auch dem Leid gegenüber zu dem Bewusstsein durchringen, daß er mit diesem leidvollen Schicksal sozusagen im ganzen Kosmos einmalig und einzigartig dasteht.
Für uns hatte das Leiden seinen Leistungscharakter enthüllt – jenen Leistungscharakter, der einen Rilke bewogen hat, auszurufen: „Wieviel ist aufzuleiden!“ Wie man von „aufzuarbeiten“ spricht, so spricht hier Rilke von „aufleiden“.
Für uns war wohl viel „aufzuleiden“. Darum war es aber auch notwendig, den Dingen, der Leidfülle ins Gesicht zu sehen. .... Die Tränen bürgten dafür, daß man den größten Mut hatte: den Mut zum Leiden!
Dieses Bruchstück von einem Leben wird ganz, wenn ich es lasse – wenn ich es hingebe... Nimm das Leben – nimm es an, das Opfer - - für sie – für die anderen - auch für den dort drüben meinetwegen.
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Das Buch Victor Frankls endet mit einer „methaphysischen Conferènce“ in der gleichzeitig zu einer Szene im KZ auch die tote Mutter und der tote Bruder eines Häftlings sowie Sokrates, Kant und Spinoza anwesend sind.
Auszug:
Spinoza: der Junge liegt am Boden – er blutet schon.
Sokrates: aber er spricht nicht!
Kant: Wie? - Er sagt nicht aus? Trotz der Schläge nicht!
Sokrates: Nein, - er schweigt, er bleibt standhaft.
Spinoza (aufgewühlt): Sehen Sie – er leidet. Er muß furchtbar leiden – könnte ich ihm doch helfen! – Ach, was bin ich! – Geschrieben hab ich – aber es wird nicht gelesen, und es wird nicht verstanden. Was hab ich ihnen nicht alles zugerufen, den Menschen! Affectus desinit esse passio....das Leben hört auf, Leiden zu sein... aber sie haben nicht gehört, wie sie es anstellen müssen, die Menschen.
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