Samstag, 17. Mai 2008
Leben ohne Gott?
lilith2, 16:06h
Viktor Frankl (1905–1997)
Viktor Frankl sieht das Unbewußte nicht nur als einen Bereich des Triebhaften, sondern auch als einen Bereich des Geistigen an. Infolgedessen gibt es für ihn neben der unbewußten Triebhaftigkeit auch die unbewußte Geistigkeit.
Das Gewissen wurzelt für Frankl in einem unbewußen Grund. Hierdurch erfolgen gerade die großen, echten – existenziell echten – Entscheidungen im menschlichen Dasein durchaus unreflektiert und insofern auch unbewußt. Und Frankl folgert, daß an seinem Ursprung das Gewissen ins Unbewußte eintaucht.
Für Frankl gibt es neben der verdrängten libido auch eine verdrängte religio. Aber für ihn muß grundsätzlich akzeptiert werden, daß der Mensch diese auch negieren darf. „Gerade der religiöse Mensch müßte doch auch diese negative Entscheidung seiner Mitmenschen respektieren können; er müßte diese Entscheidung sowohl als grundsätzliche Möglichkeit anerkennen wie auch als tatsächliche Wirklichkeit hinnehmen. Denn gerade der religiöse Mensch müßte wissen, daß die Freiheit einer solchen Entscheidung eine gottgewollte, gottgeschaffene ist; denn in einem solchen Grade ist der Mensch frei, von seinem Schöpfer frei geschaffen, daß diese Freiheit eine Freiheit bis zum Nein ist, daß sie so weit geht, daß das Geschöpf sich auch gegen seinen eigenen Schöpfer entscheiden, daß es Gott auch verleugnen kann“.
Frankl formuliert eine interessante Ansicht zu Jean-Paul-Sartres Satz „Der Mensch schafft sich selbst“. „Und wenn Sartre dabei meint, der Mensch könne sich selbst erfinden, ohne hierbei ein vorgegebenes Vorbild vorzufinden, ohne daß ihm hierbei also etwas von einer wesentlich außermenschlichen Region her entgegenkomme, dann müssen wir fragen: Gliche solches Beginnen nicht dem indischen Seiltrick? Bei diesem Trick will der Fakir glauben machen, am Seil, das er in die Luft werfe, könne ein Knabe emporklettern. Genauso entwirft der Mensch nach Sartre sein Sein-sollen ins Nichts – ohne daß ihm von irgendwoher ein Halt geboten würde – und glaubt, er könne sich an diesem Entwurf empor-arbeiten, empor-entwickeln.
Religiöse Urbilder sind nach Frankl keine in uns schlummernden, auf biologischem Wege übernommene Archetypen, sondern sie sind auf traditionellem Weg übernommene Urbilder unseres religiösen Kulturkreises. Eine Bilderwelt, die nicht in uns hineingeboren wurde, sondern in die wir hineingeboren wurden. Verdrängte Religiosität kann zu einer naiven Religiosität im Sinne kindlicher Gläubigkeit führen. Denn wenn die unbewußte Religiosität eine verdrängte ist, ist gar nichts anderes zu erwarten, als daß sie überall dort, wo sie aus der Verschüttung gehoben wird, noch an Erlebnisbeständen der Kindheit haftet.
Religion ermöglicht dem Menschen eine Verankerung sondergleichen, die er nirgendwo anders fände, die Geborgenheit und die Verankerung in der Transzendenz, im Absoluten. In ihrer Verschiedenheit gleichen die verschiedenen Religionen verschiedenen Sprachen: Niemand kann sagen, daß seine Sprache den anderen Sprachen überlegen ist – in jeder Sprache kann der Mensch an die Wahrheit herankommen. So kann er dann auch durch das Medium jeder Religion hindurch zu Gott finden – zu dem einen Gott. In der Tiefe des Unbewußten ist eigentlich jeder von uns zumindest im weitesten Sinne des Wortes gläubig.
Viktor Frankls Logotherapie hat zum Inhalt, dem Menschen bei seiner Sinnsuche zu helfen. Sinn kann weder erzeugt noch gegeben werden, sondern muß gefunden werden. Der unendliche Sinn ist für ein endliches Wesen überhaupt nicht faßlich. Menschsein heißt, ständig mit Situationen konfrontiert zu sein, von denen jede gleichzeitig Gabe und Aufgabe ist. Was sie uns „aufgibt“, ist die Erfüllung ihres Sinnes. Unser Zeitalter nennt Frankl das Zeitalter des Sinnlosigkeitsgefühls. Gleichzeitig gibt es für Frankl keine Lebenssituation, die wirklich sinnlos wäre. Der Mensch ist fähig, Leiden in eine Leistung umzugestalten. Religion läßt sich in der Tat definieren als Erfüllung eines „Willens zum letzten Sinn“.
Der Glaube ist nicht ein Denken, vermindert um die Realität des Gedachten, sondern ein Denken, vermehrt um die Existentialität des Denkenden. Ein letztes Sein – das Pendant zum „letzten Sinn“ – ,mit einem Wort Gott, ist nicht ein Ding unter anderen, sondern – das Sein selbst.
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28.07.2010
Emanuel Kant (1724-1804)
Die Stellung des einzelnen Individuums in Bezug zum Ganzen hat Kant wissenschaftlich und zugleich auch schon fast poetisch in Worte gefasst:
"Der bestirnte Himmel fängt fängt von dem Platze an, den ich in der äußeren Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins unabsehlich Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Der Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen.“
Man könnte darüber viel schreiben aber diese kantsche Darstellung wird in ihrem Bezug zur Frage nach Gott mit einen Ausspruch Abraham Lincolns (1809-1865) exakt auf den Punkt gebracht:
Ich kann verstehen, dass ein Mensch zum Atheisten wird, wenn er auf die Erde hinunterschaut, aber wie jemand den Blick zum Himmel emporrichten und sagen kann, es gebe keinen Gott, ist mir unbegreiflich.
17.10.2009
Peter Noll (1926-1982)
Gott als der allmächtige Gesetzgeber, Befehlshaber und Richter, dessen Fingerzeige bis ins einzelne von seinen diesseitigen Stellvertretern ausgedeutet werden, hat sicher abgedankt und nie so existiert: zweites Gebot. Was Gott will und vorhat, wissen wir nicht. Die Kirche war lange Zeit der Beweis für Gott, heute ist sie der Gegenbeweis: was nicht bedeutet, daß im Apparat Kirche – erst recht seit der allgemeinen Ungläubigkeit – nicht Menschen sich betätigen, an denen Gotte in Wohlgefallen haben könnte. Man nenne mir doch einen anderen Apparat, der soviel für die Unterdrückten und Erniedrigten tut wie die echten frommen Pfarrer und Laien in den christlichen Kirchen, zum Beispiel in Lateinamerika und in Südafrika, denen der Apparat Kirche doch wenigstens einen gewissen Schutz verleiht. Das spricht nicht für den Apparat als Apparat, sondern dafür, daß dieser Apparat sein Gewissen nie ganz wird verlieren können.
Dies führt über zum Gedanken an Gott als oberste Berufungsinstanz, die den einzelnen frei und stark machen kann, auch wenn die ganze übrigen Gesellschaft gegen ihn ist. Diese – wichtigste – psychologische Funktion Gottes wird von den Psychologen nicht gesehen, auch vom ziemlich religionsfreundlichen Erich Fromm nicht, obwohl dieser sich unermüdlich auf die Beispiele von Propheten, von Sokrates und Jesus beruft. Wie kann jemand als einziger gegen alle sein und doch bestehen? Stets bedarf er einer höheren Instanz, die allen anderen überlegen ist. Diese kann immer nur Gott sein, auch wenn dafür andere Zeichen eingesetzt werden, zum Beispiel das Daimonion bei Sokrates, sein Gewissen, sein Weltgewissen. Dafür aber braucht es einen einigermaßen definierten und inhaltlich strukturierten Gott, einen Gott, der sich solidarisiert zwischen Gut und Böse. Eine unbestimmte Neigung zum Religiösen und Numinosen oder zum Mystischen kann nie eine solche Haltung produzieren, die eben nicht nur oder überhaupt nicht der psychischen Selbstbefriedigung dient, sondern die allgemeine Ungerechtigkeit vermindern will.
20.09.2009
Hoimar von Ditfurth (1921-1989)
Als Naturwissenschaftler geht Hoimar von Ditfurth das Thema Religion bezogen auf die Evolution an. In dem Werk „Wir sind nicht nur von dieser Welt“ setzt er sich mit der Ablehnung der Evolutionstheorie durch religiöse Fundamentalisten auseinander, die er natürlich auch fundiert widerlegen kann. Dabei beschreibt er den Kosmos als etwas, das kein statisches Behältnis ist, sondern ein „alle anderen Entwicklungen umgreifender historischer Prozeß“, der noch in vollem Gange ist. Infolgedessen ist es für ihn eine „aberwitzige Behauptung, daß 13 oder mehr Milliarden Jahre kosmischer Geschichte zu nichts anderem gedient hätten, als dazu, den heutigen Menschen hervorzubringen“.
Unsere Gegenwart sieht Hoimar von Ditfurth als ein flüchtig anzusehendes Phänomen, das nicht mehr als einen winzigen Ausschnitt darstellt. Fest steht damit, daß - falls überhaupt jemand - so nicht wir das Ende oder Ziel der Entwicklung sein können und sicher ist für ihn, daß es uns nicht mehr geben wird, lange bevor die Geschichte des Universums zu ihrem Ende gekommen ist. Das Universum käme auch ohne uns zurecht, und es wird eines Tages mit Gewißheit ohne uns auskommen müssen, ohne daß seine Geschichte deshalb ihren Sinn verlöre, wenn sie denn überhaupt einen hat.
Da für Hoimar von Ditfurth der Mensch nur ein vorübergehendes Phänomen ist und Absolutheit ja die Unabhängigkeit von aller zukünftigen Entwicklung meint, kann er die Person Jesus Christus auch nur unter dem Zugeständnis einer „historischen Relativierbarkeit“ sehen.
Obwohl Hoimar von Ditfurth sich gegen den bisherigen Gottesbegriff wendet und ihn auch sehr fundiert widerlegt, offenbart er die Existenz eines viel größeren, umfassenden und von der menschlichen Intelligenz kaum erfassbaren „höheren Ganzem“.
Und dieses für uns alle völlig ungeklärte Mysterium ist für mich das, was ich als Gott, besser ausgedrückt als das Göttliche, empfinde.
13.07.09
Friedrich Schleiermacher (1768-1834)
Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche. Das Subjekt erklärt sich aus der Gesamtheit des Seins und wechselseitiger Identität mit dieser. Religion ist die emotionale Totalität des Seins. Religion ist die Erfahrung, mit dem kosmischen Ganzen eins zu werden, die Sehnsucht der Seele, die Schönheit der Welt einzusaugen.
Ich habe noch kein Werk von Schleiermacher gelesen, aber diese Erkenntnisse faszinieren mich so, daß ich dies nachholen werde. Es gibt wahrscheinlich diese beiden Positionen im menschlichen Denken und Fühlen: Menschen, die in den Grenzen des Endlichen leben und Menschen, die sich bewußt sind, daß sie ein winziger Teil in einem unendlichen System sind und die die Unendlichkeit fühlen. Die Unendlichkeit hat in jeder menschlichen Epoche Fragen aufgeworfen. Erst seit einer relativ kurzen Zeit haben Menschen aufgehört, sich diese Fragen zu stellen. Dies wird für Aufgeklärtheit und Bildung gehalten. Was es aber real nicht ist. Das Nicht-mehr-fragen kann nicht aufgeklärt sein, denn aufgeklärt sein, heißt und hieß immer, sich Fragen zu stellen.
18.04.09
Peter Sloterdijk (geb. 1948)
Ich habe noch nie ein Buch von Sloterdijk gelesen, sondern nur Zusammenfassungen oder Kommentare über ihn. Aber in einem der letzten Spiegel wurde sein neues Buch „Du mußt dein Leben ändern“ vorgestellt und dort wurde auch kurz Sloterdijks Einschätzung der Religion zitiert. Sloterdijk bezeichnet Religion als „jene rituelle, illusionäre Rundum-Versicherung gegen Tod, Krankheit und Resignation, jene Fahnenflucht aus der gescheiterten Ichbildung, jenes trügerische Schulzschild gegen das gnadenlose In-der-Welt-Sein und seine Sorge.“ Sloterdijk zieht den Rückschluß, den nahezu alle Religionskritiker und insbesondere die Relgionshasser ziehen: Menschen suchen Trost und Schutz im religiösen Glauben und nur deswegen haben sie Religion und Glauben erfunden.
Für mich widerspricht dieser Rückschluß nun aber so ziemlich jeglichem logischen Denken. Nur weil etwas Trost und Schutz gibt, muß es noch nicht erfunden sein. Menschen geben sich auch dem Gefühl des Schutzes durch Aufrüstung und Bewaffnung hin. Nach der Religionshasserlogik würde es deswegen keine Aufrüstung und Bewaffnung geben. Leider ist das nicht der Fall.
Geglaubtes kann also durchaus wahr sein. Die Funktion des Geglaubten bleibt dadurch weiter offen. Natürlich kann Glaube ein Wegträumen aus der Realität darstellen. Die amerikanischen Sklaven hätten ohne ihren Glauben die menschenunwürdigen Bedingungen wahrscheinlich überhaupt nicht ertragen. Sie wären entweder daran zerbrochen oder hätten revoltiert. Dies wird ja von den Religionskritikern – oftmals auch zu Recht – angeprangert: Glaube als Vertröstung auf ein Jenseits, weil das Diesseits so unerträglich ist. Und als Folge konserviert der Glaube somit die unerträglichen Verhältnisse. Dies stimmt zwar oft, aber die Theologie der Befreiung zeigt, daß Glaube auch die Grundlage der Motivation für eine Veränderung bilden kann. Nur eben auf friedliche Art und nicht auf gewalttätige.
Aber zurück zu dem merkwürdigen Rückschluß der Religionskritiker, der leider oftmals Gläubige in die Ecke von Duckmäusern und Spinnern rückt. Tatsache ist, daß Glaube nicht zwangsläufig die Nichtexistenz des Geglaubten beweist. Auch die psychologischen Gründe des Glaubens reichen nicht aus, um den Glauben als nichtexistent zu beweisen. Sie vermögen lediglich die Funktion des Glaubens näher zu beleuchten. Aber auch das sagt eben noch nichts über Existenz oder Nichtexistenz aus.
Religiöser Glaube ist und bleibt das Vordringen in Bereiche, die über die rein materielle und rein diesseitige Wahrnehmung hinausgehen. Der Glaube endet nicht bei unserem Erdball, der ein lächerlich winziges Staubkörnchen im Gesamten darstellt. Der Glaube ist im Gegenteil eine Wahrnehmung der ganz realen Unwichtigkeit und Belanglosigkeit des Individuums vor dem Hintergrund des dem menschlichen Geist durch seine Beschränktheit verschlossene Unvorstellbare und nicht Fassbare. Wie Blaise Pascal es formuliert hat, ist der menschliche Geist nicht in der Lage, das Unendliche zu erkennen.
Kann es nicht sein, daß gerade die Materialisten Weltmeister im Flüchten sind? Wenn man etwas nicht versteht und nicht erklären kann, erklärt man es kurzerhand für nichtexistent. Wenn etwas die eigene Unwichtigkeit und Begrenztheit so offen und brutal bloßlegt, flüchtet man sich in einfache und übersichtliche Begrifflichkeiten, die man dann ganz unbedarft für das Ein- und Alles definiert.
Die Belanglosigkeit des menschlichen Seins wurde von keinem so treffend und poetisch wie von Alexandra David-Néel (1868–1869) ausgedrückt:
“Betrachte dir nur eines Abends das Funkeln der Sterne, die man unmöglich zählen kann, denke an die unendlichen Fernen, aus denen dieses kleine schwankende Licht zu uns dringt, das wir von einem jeden von ihnen wahrnehmen. Betrachte die Milchstraße, Staub von Welten, wie es scheint, denke an die Ewigkeiten über Ewigkeiten, die Unendlichkeiten über Unendlichkeiten, in denen alles untergeht, und überlege dir dann, was im Vergleich das Leben eines Menschen, das Leben eines Volkes bedeutet.....“
Also Herr Sloterdijk, wer flüchtet hier eigentlich?
Carl Gustav Jung (1875-1961)
Für C.G.Jung ist Gott nicht etwas sich außerhalb der Psyche Befindendes. Mit dem Begriff des Archetypus geht Jung über das Einteilen in innere und äußere Prozesse hinaus. Ein Archetypus ist für ihn ein Bild, das in der Seele lebt und dem daher im Gegensatz zu der reinen Vorstellung auch eine Realität zukommt.
Für Jung sind die antropomorphen Götter schon immer ein nach außen projiziertes Bild eines inneren Erlebens gewesen. Aphrodite als vermenschlichtes Symbol für die menschliche Liebe, Athene als Symbol der menschlichen Weisheit, Ate als Verkörperung der Zwietracht. Es gab in der Realität weder Aphrodite noch Athene noch Ate- aber sehr wohl das Gefühl der Liebe, die Geisteskraft und die Zwietracht.
Da es in jeder Kultur eine Vorstellung bzw. ein Bild von einem allmächtigen, allesumfassenden Gott gibt, dann muß dies auch im Menschen seine Entsprechung haben. Für Jung ist Gott eine mächtige Regung der Seele - das Bewegte und das Bewegende der Seele.
Wenn ich diesen Gedanken weiter denke, dann ist Gott plötzlich nicht mehr eine metaphysische Vorstellung sondern etwas ganz Reales. Eine - wie Jung formuliert - mächtige Regung, die über das personale Ich weit hinausgeht und die die Verbindung zur gesamten Schöpfung beinhaltet. Unleugbar ist der einzelne Mensch ein Teil der gesamten Schöpfung, ist also genauso aus dem Urstoff entstanden wie Tiere, Pflanzen, Gestirne und ganze Sonnensysteme. Gott ist vor dieser Sichtweise gleichzeitig sowohl die alles beinhaltende Kraft als auch die allen innewohnende Kraft.
Wenn man jetzt einen Schlenker zum Buddhismus macht, kann man erklären, warum diese Kraft nicht von jedem gespürt wird. Der Buddhismus nennt die Ursache hierfür die "Schleier des Egos". Der einzelne Mensch ist so auf sich als Individuum konzentriert, daß er den übergeordneten Rahmen, in dem er sich bewegt, nicht mehr wahrnehmen kann. Meister Eckhart formuliert: "Gott muß immerdar in der Seele geboren werden" - ist also nicht als äußere Kraft existent sondern als innere Kraft, die es gilt wahrzunehmen und der Raum gegeben werden muß.
Gott ist also etwas ungleich Höheres und ungleich Unfaßbareres als das, was manche Religionen und der Atheismus aus ihm machen wollen. Gleichzeitig muß er nicht zwangsläufig real sein. Er muß, um Meister Eckarts Worte zu gebrauchen, "geboren werden". Man muß ihn also empfangen und gebären wollen um ihm die Möglichkeit der Existenz zu geben.
Das ist es, was die Meditation plötzlich und unerwartet offenbaren kann - die Wahrnehmung einer immens großen Kraft. Vergleichbar nur mit einem hellen Licht oder mit einem Gefühl von Zeitlosigkeit.
An etwas Höhers - nennen wir es Gott - zu glauben, heißt für mich, die eigene Begrenztheit erkennen. Und durch eben diese Erkenntnis der Begrenztheit die Unendlichkeit erfassen. Wie Jung grandios formuliert: "die Kahlheit der Welt weitet sich im kalten Licht des Bewußtseins bis zu den Gestirnen".
Wenn es gelingt, das Bewußtsein nicht mehr auf mich als Individuum, hier und jetzt in meinem Zimmer, in meiner Heimat, auf diesem Planeten zu begrenzen, dann öffnet sich der Blick für Gott.....
Erich Fromm (1900 – 1980)
Am Anfang der Menschheitsgeschichte war die Religion matrizentral. Das Wesen der matriarchalen Religion ist die Mutter, die die bedingungslose Mutterliebe symbolisiert. Eine Liebe ohne Bedingungen, die sich jeder Kontrolle entzieht und die man sich nicht erwerben muß.
Das nächste Stadium der menschlichen Entwicklung ist die patriarchalische Phase. In dieser Phase wird die Mutter von ihrer alles beherrschenden Stellung entthront und der Vater wird in der Religion und in der Gesellschaft das höchste Wesen. Das Wesen der väterlichen Liebe ist nicht mehr wie bei der Mutter bedingungslos sondern besteht darin, daß Forderungen aufgestellt werden, die vom Menschen erfüllt werden müssen. Es wird nicht mehr jeder gleich geliebt, sondern der patriarchale Gott liebt denjenigen Sohn am meisten, der ihm am ähnlichsten ist und am meisten gehorcht. Dies bedingt unter anderem eine hierarchische Gliederung in dem es Wettstreit gibt.
Zu Beginn der Entwicklung der patriarchalischen Religion finden wir einen despotischen, eifersüchtigen Gott, der den Menschen, den er erschuf, als seinen Besitz ansieht mit dem er machen kann, was er will. Aber die Entwicklung geht noch weiter, und Gott verwandelt sich nicht nur aus der Figur eines despotischen Stammeshäuptlings in einen liebenden Vater, in einen Vater, der selbst an die von ihm geforderten Grundsätze gebunden ist. Gott wandelt sich von der Vaterfigur in das Symbol seiner Prinzipien: Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe. Im Verlauf dieser Entwicklung hört Gott auf, eine Person zu sein; er wird zum Symbol für das Prinzip der Einheit hinter der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen und Gott kann somit keinen Namen haben. Das Verbot, sich irgendein Bild von Gott zu machen zielt darauf ab, den Menschen von der Vorstellung freizumachen, daß Gott ein Vater, daß er eine Person sein. In der weiteren theologischen Entwicklung geht man sogar soweit, daß man über Gott überhaupt keine positiven Aussagen machen kann – man kann lediglich sagen, was Gott nicht ist (negative Theologie).
Verfolgt man die sich entfaltende Idee des Monotheismus weiter, so kommt man dazu, Gottes Namen überhaupt nicht mehr zu erwähnen und überhaupt nicht mehr über Gott zu sprechen. Das anthropomorphe Gottesbild wird zu einem rein monotheistischen Prinzip. Dann wird Gott zu dem, was er potentiell in der monotheistischen Theologie ist, das namenlose Eine, ein nicht in Worte zu fassendes Gestammel, das sich auf die der Erscheinungswelt zugrundeliegende Einheit, auf den Grund allen Daseins bezieht. Gott wird Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit. Gott, das bin ich, insofern ich menschlich bin.
Alle theistischen Systeme postulieren einen spirituellen, den Menschen transzendierenden, jenseitigen Bereich, der den spirituellen Kräften des Menschen und seinem Verlangen nach Erlösung und nach einem inneren Neugeborenwerden Bedeutung und Geltung verleiht. In einem nicht-theistischen System gibt es einen solchen spirituellen, jenseits des Menschen existierenden oder ihn transzendierenden Bereich nicht. Der Bereich der Liebe, Vernunft und Gerechtigkeit existiert als Realität nur deshalb und insofern, als der Mensch es vermochte, während des gesamten Evolutionsprozesses diese Kräfte in sich zu entwickeln.
Quintessenz:
In der Geschichte der menschlichen Rasse können wir die gleiche Entwicklung wie die eines Kindes beobachten: Vom Anfang der Liebe zu Gott als einer hilflosen Bindung an eine Muttergottheit, über die Gehorsamsbindung an einen Vatergott bis zu einem reifen Stadium, wo Gott aufhört, eine äußere Macht zu sein, wo der Mensch die Prinzipien der Liebe und Gerechtigkeit in sein eigenes Innere hineingenommen hat, wo er mit Gott so eins geworden ist, daß er schließlich von ihm nur noch in einem poetischen, symbolischen Sinn spricht.
Auguste Comte (1798 - 1857)
Auguste Comte gilt als Begründer der wissenschaftlichen Soziologie. Er hält Religion für ein Zeichen von nicht vollendeter Entwicklung. Die menschliche Kultur hat sich für ihn in drei großen Schritten bzw. Stadien entwickelt:
Theologisches Zeitalter:
Die Menschen glauben an unsichtbare Seelenkräfte hinter den Dingen, an Geistwesen, Götter und Dämonen, an einen persönlichen Gott.
Metaphysisches Zeitalter:
Die Inhalte der Religion werden jetzt durch metaphysische Spekulation ersetzt. Es existiert die Vorstellung von ewigen Ideen und Wesenheiten.
Positivistisches Zeitalter:
Die Menschen lassen Religion und Metaphysik hinter sich und sie orientieren sich nur noch an den auf einer empirischen Basis stehenden Wissenschaften. Es wird an die Kraft der Vernunft geglaubt, womit die Menschen ständig ihre Lebensbedingungen verbessern.
Erst im höheren Alter relativiert Auguste Comte den Verstand und räumt auch dem Gefühl, bzw. der Mystik eine Platz ein. Er träumte von einer neuen Religion, die die Forderung der Nächstenliebe zum Inhalt hat und in der die humanen Werte des Christentums verwirklicht werden. Religiöse Dogmen werden durch wissenschaftliche Erkenntnisse ersetzt. Die Menschheit ist jetzt das große Wesen, das an die Stelle der Gottheit tritt und es wird folglich auch die Menschheit und der Kosmos verehrt. Die Wissenschaftlicher sind die neuen Heiligen und Verstorbene können als Schutzengel verehrt werden.
Auguste Compte negiert die Religion, schätzt aber gleichwohl deren humane Inhalte. Diese überträgt er dann in ein anderes Glaubenssystem, das durch Wissenschaftlichkeit legitimiert ist. Er wendet sich praktisch ab von der Religion um dann aber zu erkennen, daß das reine wissenschaftliche Denken nicht ausreicht, um den Menschen Orientierung zu geben. Quasi tut er das, was auch Moses gemacht hat: er verkündet einen neuen Gott, bzw. eine Göttlichkeit. Anders als Moses hat er diese nicht durch eine Offenbarung empfangen sondern durch wissenschaftliche Theorien entwickelt.
Blaise Pascal (1623 - 1662)
Pascal ist ein Kritiker der rationalistischen Philosophie, nach der die Vernunft in der Lage ist, alles zu erkennen. Der Mensch steht vor zwei Abgründen: vor dem Unendlichen und vor dem Nichts. Der Mensch ist zwar selbst auch unendlich, kann aber das Unendliche nicht selbst erkennen, weil sich der Bereich der menschlichen Vernunft nur auf Endliches erstreckt. Allein mit der Vernunft kann der Mensch die Wahrheit nicht erkennen, dazu ist erst das Herz fähig. Erste Prinzipien wie z.B. Raum und Zeit kann nur das Herz und nicht der Verstand erkennen. Die Existenz Gottes kann von der Vernunft weder bewiesen noch widerlegt werden.
Giordamo Bruno (1548 - 1600)
Gott ist keine Person, sondern als Weltseele in der ganzen Natur gegenwärtig und durchstrahlt die ganze Welt. Gott ist die Unendlichkeit, das Universum ist Gottes Ebenbild und somit auch unendlich und unzählige Sonnensysteme umfassend. So wie sich ein menschlicher Organismus aus Atomen zusammensetzt, so setzt sich die Welt aus "Monaden" zusammen. Letzte These wird später auch von Leibnitz vertreten und die Vorstellung vom alles durchstrahlenen Gott wurde auch von Plotin als Vertreter des Neuplatonismus vertreten.
Michel de Montaigne 1533 - 1592
Montaigne vertritt die für seine Zeit völlig verpönte Meinung, daß wir Menschen nicht der Mittelpunkt und der Zweck des Weltalls sind. Wir sind armselige Geschöpfe und erheben uns völlig zu Unrecht über die Tiere. Sowohl die Erkenntnisse, die wir durch unsere Sinneswahrnehmungen erlangen als auch die unseres Verstandes sind trügerisch, da diese immer von den Umständen abhängen.
Montaignes grundsätzliche Zweifel lassen ihn zu den Skeptikern zählen, aber er vertritt auch stoische Ideale, denn für ihn ist es erstrebsam, sich von seinen sinnlichen Begierden zu lösen. Der Mensch muß die Einsicht über die natürlichen Abläufe der Natur erlangen. Hierdurch wird der Mensch innerlich gelassen und fürchtet sich nicht mehr vor dem Tod.
Unserm Wissen von Gott und von der Natur sind enge Grenzen gesetzt und daher sind alle unsere Maßstäbe des Lebens relativ. Das Wissen um unsere Grenzen ist dem Leben zuträglicher als der Wahn, über letzte Wahrheiten zu verfügen. Auch das Neue muß nicht immer das Bessere sein, denn auch im Neuen können Irrtümer enthalten sein.
Montaigne vertritt eine wirklich radikale Ansicht der menschlichen Unbedeutsamkeit. Er ist einer der wenigen, die ganz klar vor Augen haben, wie unermesslich geringfügig und bedeutungslos die Rolle unserer Welt im Kosmos ist. Dies ist etwas, was ihn sowohl von Theologen als auch von Atheisten trennt. Gerade der Atheismus tut sich schwer, über die engen Grenzen der weltlichen Sphäre hinweg zu gucken. Die Welt endet dort, wo auch die Wahrnehmung und die Erklärung endet. Vor dem Hintergund dieser - heute weit verbreiteten - Einstellung ist der Größenwahn und das Allmachtgehabe der Wissenschaften kaum verwunderlich.
Nikolaus von Kues (1401 - 1464)
Für Kues ist Gott die Einheit, aus der man die Andersheit, die Vielheit verstehen kann und die in Gott liegende Einheit hat Vorrang vor aller Zersplitterung. Gott ist die Unendlichkeit. Die Welt ist sichtbar gewordener Gott. Er vertritt die negative Theologie im Sinne der Neuplatoniker, das heißt, über Gott läßt sich nichts Eindeutiges sagen, denn der Verstand ist nicht in der Lage, etwas Positves über Gott auszusagen. Der Mensch ist ein Mikrokosmos oder eine menschliche Welt. Die menschliche Natur umfaßt also Gott und Welt in seinem Vermögen.
Lewi Ben Gerson (1288 – 1344)
Für Lewi Ben Gerson ist Gott der Kosmos mit seinen Gesetzmäßigkeiten, seiner Entstehungsgeschichte und seiner Ordnung.
Gott ist reines Denken, er ist das geistige Formungsprinzip des Kosmos, das Ordnungsgesetz der Welt. Von den vielen Zwecken und Zielen in der Welt können wir auf eine letzte göttliche Zweckursache schließen. Da Gott eins ist, gibt es keinen Unterschied zwischen seinem Wesen und seinem Denken. Da Gottes Wirken durch sein Denken geschieht, ist er die Ursache aller Formen. Die Welt ist ein wunderbar geordnetes System, das auf ein letztes Ziel hin gerichtet ist.
Die Menschen sind deswegen freie Wesen, weil sie mit der Vernunft begabt sind. Doch als Gattungswesen werden sie durch die Naturzusammenhänge und den Gang der Gestirne bestimmt. Mit der wachsenden Erkenntnis nähern sich die Menschen dem höchsten und allgemeinen Geist, dem aktiven Intellekt, der im Kosmos wirkt. Die Gesamtheit der Begriffe, die ein Mensch während seines Lebens erwirbt, überdauert den Tod des Körpers. Der Körper und die Seele gehen im Tod zugrunde, doch der individuelle Intellekt eines Menschen bleibt erhalten, der je nach der Größe der Einsicht eine stärkere oder schwächere intellektuelle Unsterblichkeit ergibt. Der Beitrag jedes Einzelnen zur allgemeinen Erkenntnis wird verewigt. Je mehr wir im Wissen voranschreiten, umso freier wird unser Leben.
Lewi Ben Gerson ist also kein Mystiker, sondern sieht den Verstand und die Einsicht als Weg zu Gott. Genauso, wie keine Atome verloren gehen können, sondern immer nur im Wandel begriffen sind, können für ihn auch die intellektuellen Leistungen nicht einfach verschwinden. Auch wenn Dichter oder Naturwissenschaftler nicht mehr leben, leben deren geistige Produkte weiter.
Plotin (204 - 270 v.Chr.)
Für Plotin gibt es drei hierarchisch geordneteStufen der Wirklichkeit: das Eine, Geist und Seele. Die Welt, die wir durch die Sinne erfahren, ist nicht die wirkliche Welt (ähnlich Platons Höhlengleichnis).
Erste und oberste Seinstufe (Hypostase) ist das Gute, das Göttliche, das "Eine", das unendlich ist, unbegrenzt, unteilbar unräumlich und unzeitlich.
Aus diesem Einen geht als zweite Seinsstufe der Geist hervor. Er enthält die Welt der Ideen.
Als dritte Seinstufe, also als zweite Emanation, ergibt sich die platonische Weltseele , die Vermittlerin zwischen geistiger und körperlicher Welt ist, deren Teile die Seelen sind. Diese Weltseele, die bei Plotin auch Natur heißt, ist nun von dem Einen schon weit entfernt, unreiner auch als die Stufe zuvor. Sie wendet sich der Materie zu die sich nach dem Vorbild der Ideen formt.
Dadurch entsteht die vierte Stufe, die unsichtbare Sinnenwelt . Darunter liegt dann nur noch die reine Materie, das Formlose.
Die Seele ist unkörperlich und unteilbar und die Menschen sind Spitter dieser Seele, die sich danach sehnen, wirder zur ursprünglichen Einheit des Einen zurückzukommen und die Welt der Erscheinungen hinter sich zu lassen. Da die Seele aus Gott stammt, verlangt sie nach diesem. Um wieder zu Gott zu kommen, muß der Mensch über das argumentative philosophische Denken und über die rein geistige Schau des Übersinnlichen bis zur mystischen Einsicht gelangen. Der Mensch gelangt über die vollkommene Vertiefung, im Zustande der Bewußlosigkeit, sich über das Denken erhebend wieder zu dem Höchsten. Dann wird er mit dem göttlichen Lichte erfüllt und wird mit dem göttlichen Urzustand wieder eins und jeder Unterschied zwischen ihm und uns verschwindet.
Für Plotin geht die Wirklichkeit aus dem Göttlichen hervor und dem Menschen stellt sich in seinem Sein die Aufgabe, wie er von der Wirklichkeit wieder zu Gott kommt. Ich komme übrigens auf 4 Stufen und nicht auf drei. Aber vielleicht geht es auch um die Emanationen.
Viktor Frankl sieht das Unbewußte nicht nur als einen Bereich des Triebhaften, sondern auch als einen Bereich des Geistigen an. Infolgedessen gibt es für ihn neben der unbewußten Triebhaftigkeit auch die unbewußte Geistigkeit.
Das Gewissen wurzelt für Frankl in einem unbewußen Grund. Hierdurch erfolgen gerade die großen, echten – existenziell echten – Entscheidungen im menschlichen Dasein durchaus unreflektiert und insofern auch unbewußt. Und Frankl folgert, daß an seinem Ursprung das Gewissen ins Unbewußte eintaucht.
Für Frankl gibt es neben der verdrängten libido auch eine verdrängte religio. Aber für ihn muß grundsätzlich akzeptiert werden, daß der Mensch diese auch negieren darf. „Gerade der religiöse Mensch müßte doch auch diese negative Entscheidung seiner Mitmenschen respektieren können; er müßte diese Entscheidung sowohl als grundsätzliche Möglichkeit anerkennen wie auch als tatsächliche Wirklichkeit hinnehmen. Denn gerade der religiöse Mensch müßte wissen, daß die Freiheit einer solchen Entscheidung eine gottgewollte, gottgeschaffene ist; denn in einem solchen Grade ist der Mensch frei, von seinem Schöpfer frei geschaffen, daß diese Freiheit eine Freiheit bis zum Nein ist, daß sie so weit geht, daß das Geschöpf sich auch gegen seinen eigenen Schöpfer entscheiden, daß es Gott auch verleugnen kann“.
Frankl formuliert eine interessante Ansicht zu Jean-Paul-Sartres Satz „Der Mensch schafft sich selbst“. „Und wenn Sartre dabei meint, der Mensch könne sich selbst erfinden, ohne hierbei ein vorgegebenes Vorbild vorzufinden, ohne daß ihm hierbei also etwas von einer wesentlich außermenschlichen Region her entgegenkomme, dann müssen wir fragen: Gliche solches Beginnen nicht dem indischen Seiltrick? Bei diesem Trick will der Fakir glauben machen, am Seil, das er in die Luft werfe, könne ein Knabe emporklettern. Genauso entwirft der Mensch nach Sartre sein Sein-sollen ins Nichts – ohne daß ihm von irgendwoher ein Halt geboten würde – und glaubt, er könne sich an diesem Entwurf empor-arbeiten, empor-entwickeln.
Religiöse Urbilder sind nach Frankl keine in uns schlummernden, auf biologischem Wege übernommene Archetypen, sondern sie sind auf traditionellem Weg übernommene Urbilder unseres religiösen Kulturkreises. Eine Bilderwelt, die nicht in uns hineingeboren wurde, sondern in die wir hineingeboren wurden. Verdrängte Religiosität kann zu einer naiven Religiosität im Sinne kindlicher Gläubigkeit führen. Denn wenn die unbewußte Religiosität eine verdrängte ist, ist gar nichts anderes zu erwarten, als daß sie überall dort, wo sie aus der Verschüttung gehoben wird, noch an Erlebnisbeständen der Kindheit haftet.
Religion ermöglicht dem Menschen eine Verankerung sondergleichen, die er nirgendwo anders fände, die Geborgenheit und die Verankerung in der Transzendenz, im Absoluten. In ihrer Verschiedenheit gleichen die verschiedenen Religionen verschiedenen Sprachen: Niemand kann sagen, daß seine Sprache den anderen Sprachen überlegen ist – in jeder Sprache kann der Mensch an die Wahrheit herankommen. So kann er dann auch durch das Medium jeder Religion hindurch zu Gott finden – zu dem einen Gott. In der Tiefe des Unbewußten ist eigentlich jeder von uns zumindest im weitesten Sinne des Wortes gläubig.
Viktor Frankls Logotherapie hat zum Inhalt, dem Menschen bei seiner Sinnsuche zu helfen. Sinn kann weder erzeugt noch gegeben werden, sondern muß gefunden werden. Der unendliche Sinn ist für ein endliches Wesen überhaupt nicht faßlich. Menschsein heißt, ständig mit Situationen konfrontiert zu sein, von denen jede gleichzeitig Gabe und Aufgabe ist. Was sie uns „aufgibt“, ist die Erfüllung ihres Sinnes. Unser Zeitalter nennt Frankl das Zeitalter des Sinnlosigkeitsgefühls. Gleichzeitig gibt es für Frankl keine Lebenssituation, die wirklich sinnlos wäre. Der Mensch ist fähig, Leiden in eine Leistung umzugestalten. Religion läßt sich in der Tat definieren als Erfüllung eines „Willens zum letzten Sinn“.
Der Glaube ist nicht ein Denken, vermindert um die Realität des Gedachten, sondern ein Denken, vermehrt um die Existentialität des Denkenden. Ein letztes Sein – das Pendant zum „letzten Sinn“ – ,mit einem Wort Gott, ist nicht ein Ding unter anderen, sondern – das Sein selbst.
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28.07.2010
Emanuel Kant (1724-1804)
Die Stellung des einzelnen Individuums in Bezug zum Ganzen hat Kant wissenschaftlich und zugleich auch schon fast poetisch in Worte gefasst:
"Der bestirnte Himmel fängt fängt von dem Platze an, den ich in der äußeren Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins unabsehlich Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Der Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen.“
Man könnte darüber viel schreiben aber diese kantsche Darstellung wird in ihrem Bezug zur Frage nach Gott mit einen Ausspruch Abraham Lincolns (1809-1865) exakt auf den Punkt gebracht:
Ich kann verstehen, dass ein Mensch zum Atheisten wird, wenn er auf die Erde hinunterschaut, aber wie jemand den Blick zum Himmel emporrichten und sagen kann, es gebe keinen Gott, ist mir unbegreiflich.
17.10.2009
Peter Noll (1926-1982)
Gott als der allmächtige Gesetzgeber, Befehlshaber und Richter, dessen Fingerzeige bis ins einzelne von seinen diesseitigen Stellvertretern ausgedeutet werden, hat sicher abgedankt und nie so existiert: zweites Gebot. Was Gott will und vorhat, wissen wir nicht. Die Kirche war lange Zeit der Beweis für Gott, heute ist sie der Gegenbeweis: was nicht bedeutet, daß im Apparat Kirche – erst recht seit der allgemeinen Ungläubigkeit – nicht Menschen sich betätigen, an denen Gotte in Wohlgefallen haben könnte. Man nenne mir doch einen anderen Apparat, der soviel für die Unterdrückten und Erniedrigten tut wie die echten frommen Pfarrer und Laien in den christlichen Kirchen, zum Beispiel in Lateinamerika und in Südafrika, denen der Apparat Kirche doch wenigstens einen gewissen Schutz verleiht. Das spricht nicht für den Apparat als Apparat, sondern dafür, daß dieser Apparat sein Gewissen nie ganz wird verlieren können.
Dies führt über zum Gedanken an Gott als oberste Berufungsinstanz, die den einzelnen frei und stark machen kann, auch wenn die ganze übrigen Gesellschaft gegen ihn ist. Diese – wichtigste – psychologische Funktion Gottes wird von den Psychologen nicht gesehen, auch vom ziemlich religionsfreundlichen Erich Fromm nicht, obwohl dieser sich unermüdlich auf die Beispiele von Propheten, von Sokrates und Jesus beruft. Wie kann jemand als einziger gegen alle sein und doch bestehen? Stets bedarf er einer höheren Instanz, die allen anderen überlegen ist. Diese kann immer nur Gott sein, auch wenn dafür andere Zeichen eingesetzt werden, zum Beispiel das Daimonion bei Sokrates, sein Gewissen, sein Weltgewissen. Dafür aber braucht es einen einigermaßen definierten und inhaltlich strukturierten Gott, einen Gott, der sich solidarisiert zwischen Gut und Böse. Eine unbestimmte Neigung zum Religiösen und Numinosen oder zum Mystischen kann nie eine solche Haltung produzieren, die eben nicht nur oder überhaupt nicht der psychischen Selbstbefriedigung dient, sondern die allgemeine Ungerechtigkeit vermindern will.
20.09.2009
Hoimar von Ditfurth (1921-1989)
Als Naturwissenschaftler geht Hoimar von Ditfurth das Thema Religion bezogen auf die Evolution an. In dem Werk „Wir sind nicht nur von dieser Welt“ setzt er sich mit der Ablehnung der Evolutionstheorie durch religiöse Fundamentalisten auseinander, die er natürlich auch fundiert widerlegen kann. Dabei beschreibt er den Kosmos als etwas, das kein statisches Behältnis ist, sondern ein „alle anderen Entwicklungen umgreifender historischer Prozeß“, der noch in vollem Gange ist. Infolgedessen ist es für ihn eine „aberwitzige Behauptung, daß 13 oder mehr Milliarden Jahre kosmischer Geschichte zu nichts anderem gedient hätten, als dazu, den heutigen Menschen hervorzubringen“.
Unsere Gegenwart sieht Hoimar von Ditfurth als ein flüchtig anzusehendes Phänomen, das nicht mehr als einen winzigen Ausschnitt darstellt. Fest steht damit, daß - falls überhaupt jemand - so nicht wir das Ende oder Ziel der Entwicklung sein können und sicher ist für ihn, daß es uns nicht mehr geben wird, lange bevor die Geschichte des Universums zu ihrem Ende gekommen ist. Das Universum käme auch ohne uns zurecht, und es wird eines Tages mit Gewißheit ohne uns auskommen müssen, ohne daß seine Geschichte deshalb ihren Sinn verlöre, wenn sie denn überhaupt einen hat.
Da für Hoimar von Ditfurth der Mensch nur ein vorübergehendes Phänomen ist und Absolutheit ja die Unabhängigkeit von aller zukünftigen Entwicklung meint, kann er die Person Jesus Christus auch nur unter dem Zugeständnis einer „historischen Relativierbarkeit“ sehen.
Obwohl Hoimar von Ditfurth sich gegen den bisherigen Gottesbegriff wendet und ihn auch sehr fundiert widerlegt, offenbart er die Existenz eines viel größeren, umfassenden und von der menschlichen Intelligenz kaum erfassbaren „höheren Ganzem“.
Und dieses für uns alle völlig ungeklärte Mysterium ist für mich das, was ich als Gott, besser ausgedrückt als das Göttliche, empfinde.
13.07.09
Friedrich Schleiermacher (1768-1834)
Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche. Das Subjekt erklärt sich aus der Gesamtheit des Seins und wechselseitiger Identität mit dieser. Religion ist die emotionale Totalität des Seins. Religion ist die Erfahrung, mit dem kosmischen Ganzen eins zu werden, die Sehnsucht der Seele, die Schönheit der Welt einzusaugen.
Ich habe noch kein Werk von Schleiermacher gelesen, aber diese Erkenntnisse faszinieren mich so, daß ich dies nachholen werde. Es gibt wahrscheinlich diese beiden Positionen im menschlichen Denken und Fühlen: Menschen, die in den Grenzen des Endlichen leben und Menschen, die sich bewußt sind, daß sie ein winziger Teil in einem unendlichen System sind und die die Unendlichkeit fühlen. Die Unendlichkeit hat in jeder menschlichen Epoche Fragen aufgeworfen. Erst seit einer relativ kurzen Zeit haben Menschen aufgehört, sich diese Fragen zu stellen. Dies wird für Aufgeklärtheit und Bildung gehalten. Was es aber real nicht ist. Das Nicht-mehr-fragen kann nicht aufgeklärt sein, denn aufgeklärt sein, heißt und hieß immer, sich Fragen zu stellen.
18.04.09
Peter Sloterdijk (geb. 1948)
Ich habe noch nie ein Buch von Sloterdijk gelesen, sondern nur Zusammenfassungen oder Kommentare über ihn. Aber in einem der letzten Spiegel wurde sein neues Buch „Du mußt dein Leben ändern“ vorgestellt und dort wurde auch kurz Sloterdijks Einschätzung der Religion zitiert. Sloterdijk bezeichnet Religion als „jene rituelle, illusionäre Rundum-Versicherung gegen Tod, Krankheit und Resignation, jene Fahnenflucht aus der gescheiterten Ichbildung, jenes trügerische Schulzschild gegen das gnadenlose In-der-Welt-Sein und seine Sorge.“ Sloterdijk zieht den Rückschluß, den nahezu alle Religionskritiker und insbesondere die Relgionshasser ziehen: Menschen suchen Trost und Schutz im religiösen Glauben und nur deswegen haben sie Religion und Glauben erfunden.
Für mich widerspricht dieser Rückschluß nun aber so ziemlich jeglichem logischen Denken. Nur weil etwas Trost und Schutz gibt, muß es noch nicht erfunden sein. Menschen geben sich auch dem Gefühl des Schutzes durch Aufrüstung und Bewaffnung hin. Nach der Religionshasserlogik würde es deswegen keine Aufrüstung und Bewaffnung geben. Leider ist das nicht der Fall.
Geglaubtes kann also durchaus wahr sein. Die Funktion des Geglaubten bleibt dadurch weiter offen. Natürlich kann Glaube ein Wegträumen aus der Realität darstellen. Die amerikanischen Sklaven hätten ohne ihren Glauben die menschenunwürdigen Bedingungen wahrscheinlich überhaupt nicht ertragen. Sie wären entweder daran zerbrochen oder hätten revoltiert. Dies wird ja von den Religionskritikern – oftmals auch zu Recht – angeprangert: Glaube als Vertröstung auf ein Jenseits, weil das Diesseits so unerträglich ist. Und als Folge konserviert der Glaube somit die unerträglichen Verhältnisse. Dies stimmt zwar oft, aber die Theologie der Befreiung zeigt, daß Glaube auch die Grundlage der Motivation für eine Veränderung bilden kann. Nur eben auf friedliche Art und nicht auf gewalttätige.
Aber zurück zu dem merkwürdigen Rückschluß der Religionskritiker, der leider oftmals Gläubige in die Ecke von Duckmäusern und Spinnern rückt. Tatsache ist, daß Glaube nicht zwangsläufig die Nichtexistenz des Geglaubten beweist. Auch die psychologischen Gründe des Glaubens reichen nicht aus, um den Glauben als nichtexistent zu beweisen. Sie vermögen lediglich die Funktion des Glaubens näher zu beleuchten. Aber auch das sagt eben noch nichts über Existenz oder Nichtexistenz aus.
Religiöser Glaube ist und bleibt das Vordringen in Bereiche, die über die rein materielle und rein diesseitige Wahrnehmung hinausgehen. Der Glaube endet nicht bei unserem Erdball, der ein lächerlich winziges Staubkörnchen im Gesamten darstellt. Der Glaube ist im Gegenteil eine Wahrnehmung der ganz realen Unwichtigkeit und Belanglosigkeit des Individuums vor dem Hintergrund des dem menschlichen Geist durch seine Beschränktheit verschlossene Unvorstellbare und nicht Fassbare. Wie Blaise Pascal es formuliert hat, ist der menschliche Geist nicht in der Lage, das Unendliche zu erkennen.
Kann es nicht sein, daß gerade die Materialisten Weltmeister im Flüchten sind? Wenn man etwas nicht versteht und nicht erklären kann, erklärt man es kurzerhand für nichtexistent. Wenn etwas die eigene Unwichtigkeit und Begrenztheit so offen und brutal bloßlegt, flüchtet man sich in einfache und übersichtliche Begrifflichkeiten, die man dann ganz unbedarft für das Ein- und Alles definiert.
Die Belanglosigkeit des menschlichen Seins wurde von keinem so treffend und poetisch wie von Alexandra David-Néel (1868–1869) ausgedrückt:
“Betrachte dir nur eines Abends das Funkeln der Sterne, die man unmöglich zählen kann, denke an die unendlichen Fernen, aus denen dieses kleine schwankende Licht zu uns dringt, das wir von einem jeden von ihnen wahrnehmen. Betrachte die Milchstraße, Staub von Welten, wie es scheint, denke an die Ewigkeiten über Ewigkeiten, die Unendlichkeiten über Unendlichkeiten, in denen alles untergeht, und überlege dir dann, was im Vergleich das Leben eines Menschen, das Leben eines Volkes bedeutet.....“
Also Herr Sloterdijk, wer flüchtet hier eigentlich?
Carl Gustav Jung (1875-1961)
Für C.G.Jung ist Gott nicht etwas sich außerhalb der Psyche Befindendes. Mit dem Begriff des Archetypus geht Jung über das Einteilen in innere und äußere Prozesse hinaus. Ein Archetypus ist für ihn ein Bild, das in der Seele lebt und dem daher im Gegensatz zu der reinen Vorstellung auch eine Realität zukommt.
Für Jung sind die antropomorphen Götter schon immer ein nach außen projiziertes Bild eines inneren Erlebens gewesen. Aphrodite als vermenschlichtes Symbol für die menschliche Liebe, Athene als Symbol der menschlichen Weisheit, Ate als Verkörperung der Zwietracht. Es gab in der Realität weder Aphrodite noch Athene noch Ate- aber sehr wohl das Gefühl der Liebe, die Geisteskraft und die Zwietracht.
Da es in jeder Kultur eine Vorstellung bzw. ein Bild von einem allmächtigen, allesumfassenden Gott gibt, dann muß dies auch im Menschen seine Entsprechung haben. Für Jung ist Gott eine mächtige Regung der Seele - das Bewegte und das Bewegende der Seele.
Wenn ich diesen Gedanken weiter denke, dann ist Gott plötzlich nicht mehr eine metaphysische Vorstellung sondern etwas ganz Reales. Eine - wie Jung formuliert - mächtige Regung, die über das personale Ich weit hinausgeht und die die Verbindung zur gesamten Schöpfung beinhaltet. Unleugbar ist der einzelne Mensch ein Teil der gesamten Schöpfung, ist also genauso aus dem Urstoff entstanden wie Tiere, Pflanzen, Gestirne und ganze Sonnensysteme. Gott ist vor dieser Sichtweise gleichzeitig sowohl die alles beinhaltende Kraft als auch die allen innewohnende Kraft.
Wenn man jetzt einen Schlenker zum Buddhismus macht, kann man erklären, warum diese Kraft nicht von jedem gespürt wird. Der Buddhismus nennt die Ursache hierfür die "Schleier des Egos". Der einzelne Mensch ist so auf sich als Individuum konzentriert, daß er den übergeordneten Rahmen, in dem er sich bewegt, nicht mehr wahrnehmen kann. Meister Eckhart formuliert: "Gott muß immerdar in der Seele geboren werden" - ist also nicht als äußere Kraft existent sondern als innere Kraft, die es gilt wahrzunehmen und der Raum gegeben werden muß.
Gott ist also etwas ungleich Höheres und ungleich Unfaßbareres als das, was manche Religionen und der Atheismus aus ihm machen wollen. Gleichzeitig muß er nicht zwangsläufig real sein. Er muß, um Meister Eckarts Worte zu gebrauchen, "geboren werden". Man muß ihn also empfangen und gebären wollen um ihm die Möglichkeit der Existenz zu geben.
Das ist es, was die Meditation plötzlich und unerwartet offenbaren kann - die Wahrnehmung einer immens großen Kraft. Vergleichbar nur mit einem hellen Licht oder mit einem Gefühl von Zeitlosigkeit.
An etwas Höhers - nennen wir es Gott - zu glauben, heißt für mich, die eigene Begrenztheit erkennen. Und durch eben diese Erkenntnis der Begrenztheit die Unendlichkeit erfassen. Wie Jung grandios formuliert: "die Kahlheit der Welt weitet sich im kalten Licht des Bewußtseins bis zu den Gestirnen".
Wenn es gelingt, das Bewußtsein nicht mehr auf mich als Individuum, hier und jetzt in meinem Zimmer, in meiner Heimat, auf diesem Planeten zu begrenzen, dann öffnet sich der Blick für Gott.....
Erich Fromm (1900 – 1980)
Am Anfang der Menschheitsgeschichte war die Religion matrizentral. Das Wesen der matriarchalen Religion ist die Mutter, die die bedingungslose Mutterliebe symbolisiert. Eine Liebe ohne Bedingungen, die sich jeder Kontrolle entzieht und die man sich nicht erwerben muß.
Das nächste Stadium der menschlichen Entwicklung ist die patriarchalische Phase. In dieser Phase wird die Mutter von ihrer alles beherrschenden Stellung entthront und der Vater wird in der Religion und in der Gesellschaft das höchste Wesen. Das Wesen der väterlichen Liebe ist nicht mehr wie bei der Mutter bedingungslos sondern besteht darin, daß Forderungen aufgestellt werden, die vom Menschen erfüllt werden müssen. Es wird nicht mehr jeder gleich geliebt, sondern der patriarchale Gott liebt denjenigen Sohn am meisten, der ihm am ähnlichsten ist und am meisten gehorcht. Dies bedingt unter anderem eine hierarchische Gliederung in dem es Wettstreit gibt.
Zu Beginn der Entwicklung der patriarchalischen Religion finden wir einen despotischen, eifersüchtigen Gott, der den Menschen, den er erschuf, als seinen Besitz ansieht mit dem er machen kann, was er will. Aber die Entwicklung geht noch weiter, und Gott verwandelt sich nicht nur aus der Figur eines despotischen Stammeshäuptlings in einen liebenden Vater, in einen Vater, der selbst an die von ihm geforderten Grundsätze gebunden ist. Gott wandelt sich von der Vaterfigur in das Symbol seiner Prinzipien: Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe. Im Verlauf dieser Entwicklung hört Gott auf, eine Person zu sein; er wird zum Symbol für das Prinzip der Einheit hinter der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen und Gott kann somit keinen Namen haben. Das Verbot, sich irgendein Bild von Gott zu machen zielt darauf ab, den Menschen von der Vorstellung freizumachen, daß Gott ein Vater, daß er eine Person sein. In der weiteren theologischen Entwicklung geht man sogar soweit, daß man über Gott überhaupt keine positiven Aussagen machen kann – man kann lediglich sagen, was Gott nicht ist (negative Theologie).
Verfolgt man die sich entfaltende Idee des Monotheismus weiter, so kommt man dazu, Gottes Namen überhaupt nicht mehr zu erwähnen und überhaupt nicht mehr über Gott zu sprechen. Das anthropomorphe Gottesbild wird zu einem rein monotheistischen Prinzip. Dann wird Gott zu dem, was er potentiell in der monotheistischen Theologie ist, das namenlose Eine, ein nicht in Worte zu fassendes Gestammel, das sich auf die der Erscheinungswelt zugrundeliegende Einheit, auf den Grund allen Daseins bezieht. Gott wird Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit. Gott, das bin ich, insofern ich menschlich bin.
Alle theistischen Systeme postulieren einen spirituellen, den Menschen transzendierenden, jenseitigen Bereich, der den spirituellen Kräften des Menschen und seinem Verlangen nach Erlösung und nach einem inneren Neugeborenwerden Bedeutung und Geltung verleiht. In einem nicht-theistischen System gibt es einen solchen spirituellen, jenseits des Menschen existierenden oder ihn transzendierenden Bereich nicht. Der Bereich der Liebe, Vernunft und Gerechtigkeit existiert als Realität nur deshalb und insofern, als der Mensch es vermochte, während des gesamten Evolutionsprozesses diese Kräfte in sich zu entwickeln.
Quintessenz:
In der Geschichte der menschlichen Rasse können wir die gleiche Entwicklung wie die eines Kindes beobachten: Vom Anfang der Liebe zu Gott als einer hilflosen Bindung an eine Muttergottheit, über die Gehorsamsbindung an einen Vatergott bis zu einem reifen Stadium, wo Gott aufhört, eine äußere Macht zu sein, wo der Mensch die Prinzipien der Liebe und Gerechtigkeit in sein eigenes Innere hineingenommen hat, wo er mit Gott so eins geworden ist, daß er schließlich von ihm nur noch in einem poetischen, symbolischen Sinn spricht.
Auguste Comte (1798 - 1857)
Auguste Comte gilt als Begründer der wissenschaftlichen Soziologie. Er hält Religion für ein Zeichen von nicht vollendeter Entwicklung. Die menschliche Kultur hat sich für ihn in drei großen Schritten bzw. Stadien entwickelt:
Theologisches Zeitalter:
Die Menschen glauben an unsichtbare Seelenkräfte hinter den Dingen, an Geistwesen, Götter und Dämonen, an einen persönlichen Gott.
Metaphysisches Zeitalter:
Die Inhalte der Religion werden jetzt durch metaphysische Spekulation ersetzt. Es existiert die Vorstellung von ewigen Ideen und Wesenheiten.
Positivistisches Zeitalter:
Die Menschen lassen Religion und Metaphysik hinter sich und sie orientieren sich nur noch an den auf einer empirischen Basis stehenden Wissenschaften. Es wird an die Kraft der Vernunft geglaubt, womit die Menschen ständig ihre Lebensbedingungen verbessern.
Erst im höheren Alter relativiert Auguste Comte den Verstand und räumt auch dem Gefühl, bzw. der Mystik eine Platz ein. Er träumte von einer neuen Religion, die die Forderung der Nächstenliebe zum Inhalt hat und in der die humanen Werte des Christentums verwirklicht werden. Religiöse Dogmen werden durch wissenschaftliche Erkenntnisse ersetzt. Die Menschheit ist jetzt das große Wesen, das an die Stelle der Gottheit tritt und es wird folglich auch die Menschheit und der Kosmos verehrt. Die Wissenschaftlicher sind die neuen Heiligen und Verstorbene können als Schutzengel verehrt werden.
Auguste Compte negiert die Religion, schätzt aber gleichwohl deren humane Inhalte. Diese überträgt er dann in ein anderes Glaubenssystem, das durch Wissenschaftlichkeit legitimiert ist. Er wendet sich praktisch ab von der Religion um dann aber zu erkennen, daß das reine wissenschaftliche Denken nicht ausreicht, um den Menschen Orientierung zu geben. Quasi tut er das, was auch Moses gemacht hat: er verkündet einen neuen Gott, bzw. eine Göttlichkeit. Anders als Moses hat er diese nicht durch eine Offenbarung empfangen sondern durch wissenschaftliche Theorien entwickelt.
Blaise Pascal (1623 - 1662)
Pascal ist ein Kritiker der rationalistischen Philosophie, nach der die Vernunft in der Lage ist, alles zu erkennen. Der Mensch steht vor zwei Abgründen: vor dem Unendlichen und vor dem Nichts. Der Mensch ist zwar selbst auch unendlich, kann aber das Unendliche nicht selbst erkennen, weil sich der Bereich der menschlichen Vernunft nur auf Endliches erstreckt. Allein mit der Vernunft kann der Mensch die Wahrheit nicht erkennen, dazu ist erst das Herz fähig. Erste Prinzipien wie z.B. Raum und Zeit kann nur das Herz und nicht der Verstand erkennen. Die Existenz Gottes kann von der Vernunft weder bewiesen noch widerlegt werden.
Giordamo Bruno (1548 - 1600)
Gott ist keine Person, sondern als Weltseele in der ganzen Natur gegenwärtig und durchstrahlt die ganze Welt. Gott ist die Unendlichkeit, das Universum ist Gottes Ebenbild und somit auch unendlich und unzählige Sonnensysteme umfassend. So wie sich ein menschlicher Organismus aus Atomen zusammensetzt, so setzt sich die Welt aus "Monaden" zusammen. Letzte These wird später auch von Leibnitz vertreten und die Vorstellung vom alles durchstrahlenen Gott wurde auch von Plotin als Vertreter des Neuplatonismus vertreten.
Michel de Montaigne 1533 - 1592
Montaigne vertritt die für seine Zeit völlig verpönte Meinung, daß wir Menschen nicht der Mittelpunkt und der Zweck des Weltalls sind. Wir sind armselige Geschöpfe und erheben uns völlig zu Unrecht über die Tiere. Sowohl die Erkenntnisse, die wir durch unsere Sinneswahrnehmungen erlangen als auch die unseres Verstandes sind trügerisch, da diese immer von den Umständen abhängen.
Montaignes grundsätzliche Zweifel lassen ihn zu den Skeptikern zählen, aber er vertritt auch stoische Ideale, denn für ihn ist es erstrebsam, sich von seinen sinnlichen Begierden zu lösen. Der Mensch muß die Einsicht über die natürlichen Abläufe der Natur erlangen. Hierdurch wird der Mensch innerlich gelassen und fürchtet sich nicht mehr vor dem Tod.
Unserm Wissen von Gott und von der Natur sind enge Grenzen gesetzt und daher sind alle unsere Maßstäbe des Lebens relativ. Das Wissen um unsere Grenzen ist dem Leben zuträglicher als der Wahn, über letzte Wahrheiten zu verfügen. Auch das Neue muß nicht immer das Bessere sein, denn auch im Neuen können Irrtümer enthalten sein.
Montaigne vertritt eine wirklich radikale Ansicht der menschlichen Unbedeutsamkeit. Er ist einer der wenigen, die ganz klar vor Augen haben, wie unermesslich geringfügig und bedeutungslos die Rolle unserer Welt im Kosmos ist. Dies ist etwas, was ihn sowohl von Theologen als auch von Atheisten trennt. Gerade der Atheismus tut sich schwer, über die engen Grenzen der weltlichen Sphäre hinweg zu gucken. Die Welt endet dort, wo auch die Wahrnehmung und die Erklärung endet. Vor dem Hintergund dieser - heute weit verbreiteten - Einstellung ist der Größenwahn und das Allmachtgehabe der Wissenschaften kaum verwunderlich.
Nikolaus von Kues (1401 - 1464)
Für Kues ist Gott die Einheit, aus der man die Andersheit, die Vielheit verstehen kann und die in Gott liegende Einheit hat Vorrang vor aller Zersplitterung. Gott ist die Unendlichkeit. Die Welt ist sichtbar gewordener Gott. Er vertritt die negative Theologie im Sinne der Neuplatoniker, das heißt, über Gott läßt sich nichts Eindeutiges sagen, denn der Verstand ist nicht in der Lage, etwas Positves über Gott auszusagen. Der Mensch ist ein Mikrokosmos oder eine menschliche Welt. Die menschliche Natur umfaßt also Gott und Welt in seinem Vermögen.
Lewi Ben Gerson (1288 – 1344)
Für Lewi Ben Gerson ist Gott der Kosmos mit seinen Gesetzmäßigkeiten, seiner Entstehungsgeschichte und seiner Ordnung.
Gott ist reines Denken, er ist das geistige Formungsprinzip des Kosmos, das Ordnungsgesetz der Welt. Von den vielen Zwecken und Zielen in der Welt können wir auf eine letzte göttliche Zweckursache schließen. Da Gott eins ist, gibt es keinen Unterschied zwischen seinem Wesen und seinem Denken. Da Gottes Wirken durch sein Denken geschieht, ist er die Ursache aller Formen. Die Welt ist ein wunderbar geordnetes System, das auf ein letztes Ziel hin gerichtet ist.
Die Menschen sind deswegen freie Wesen, weil sie mit der Vernunft begabt sind. Doch als Gattungswesen werden sie durch die Naturzusammenhänge und den Gang der Gestirne bestimmt. Mit der wachsenden Erkenntnis nähern sich die Menschen dem höchsten und allgemeinen Geist, dem aktiven Intellekt, der im Kosmos wirkt. Die Gesamtheit der Begriffe, die ein Mensch während seines Lebens erwirbt, überdauert den Tod des Körpers. Der Körper und die Seele gehen im Tod zugrunde, doch der individuelle Intellekt eines Menschen bleibt erhalten, der je nach der Größe der Einsicht eine stärkere oder schwächere intellektuelle Unsterblichkeit ergibt. Der Beitrag jedes Einzelnen zur allgemeinen Erkenntnis wird verewigt. Je mehr wir im Wissen voranschreiten, umso freier wird unser Leben.
Lewi Ben Gerson ist also kein Mystiker, sondern sieht den Verstand und die Einsicht als Weg zu Gott. Genauso, wie keine Atome verloren gehen können, sondern immer nur im Wandel begriffen sind, können für ihn auch die intellektuellen Leistungen nicht einfach verschwinden. Auch wenn Dichter oder Naturwissenschaftler nicht mehr leben, leben deren geistige Produkte weiter.
Plotin (204 - 270 v.Chr.)
Für Plotin gibt es drei hierarchisch geordneteStufen der Wirklichkeit: das Eine, Geist und Seele. Die Welt, die wir durch die Sinne erfahren, ist nicht die wirkliche Welt (ähnlich Platons Höhlengleichnis).
Erste und oberste Seinstufe (Hypostase) ist das Gute, das Göttliche, das "Eine", das unendlich ist, unbegrenzt, unteilbar unräumlich und unzeitlich.
Aus diesem Einen geht als zweite Seinsstufe der Geist hervor. Er enthält die Welt der Ideen.
Als dritte Seinstufe, also als zweite Emanation, ergibt sich die platonische Weltseele , die Vermittlerin zwischen geistiger und körperlicher Welt ist, deren Teile die Seelen sind. Diese Weltseele, die bei Plotin auch Natur heißt, ist nun von dem Einen schon weit entfernt, unreiner auch als die Stufe zuvor. Sie wendet sich der Materie zu die sich nach dem Vorbild der Ideen formt.
Dadurch entsteht die vierte Stufe, die unsichtbare Sinnenwelt . Darunter liegt dann nur noch die reine Materie, das Formlose.
Die Seele ist unkörperlich und unteilbar und die Menschen sind Spitter dieser Seele, die sich danach sehnen, wirder zur ursprünglichen Einheit des Einen zurückzukommen und die Welt der Erscheinungen hinter sich zu lassen. Da die Seele aus Gott stammt, verlangt sie nach diesem. Um wieder zu Gott zu kommen, muß der Mensch über das argumentative philosophische Denken und über die rein geistige Schau des Übersinnlichen bis zur mystischen Einsicht gelangen. Der Mensch gelangt über die vollkommene Vertiefung, im Zustande der Bewußlosigkeit, sich über das Denken erhebend wieder zu dem Höchsten. Dann wird er mit dem göttlichen Lichte erfüllt und wird mit dem göttlichen Urzustand wieder eins und jeder Unterschied zwischen ihm und uns verschwindet.
Für Plotin geht die Wirklichkeit aus dem Göttlichen hervor und dem Menschen stellt sich in seinem Sein die Aufgabe, wie er von der Wirklichkeit wieder zu Gott kommt. Ich komme übrigens auf 4 Stufen und nicht auf drei. Aber vielleicht geht es auch um die Emanationen.
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