Samstag, 6. März 2010
Von der Kraft des Loslassens
Loslassen ist nicht nur das Loslassen von etwas oder von jemandem.
Nicht nur die Erleichterung um etwas.

Loslassen kann auch das eigene Loslassen bedeuten.
Das Loslassen einer die eigene Bewegung hindernden Kette.

Das Freiwerden von einer Fessel.
Von Starrheit und Stillstand.

Es kann bedeuten, sich plötzlich frei bewegen zu können.
Und nicht mehr an seiner Bewegung gehindert werden.

Loslassen kann den freien Fall bedeuten.
Ins Bodenlose und ins Ungewisse.
Vielleicht bricht man sich sogar das Genick.
Aber es ist eine Bewegung.

Loslassen heißt Befreiung.
Eine Beendigung des Zustands des Gefangenseins.

Man läßt die schwere Eisenkette los, die die eigene Bewegung unmöglich machte.
Wie ein Kettenhund immer nur im begrenzten Radius.
Und jetzt endlich frei um den Ort des Gefangenseins zu verlassen.

Loslassen ist kein Gnadenakt für andere. Es ist ein Gnadenakt für das eigene Selbst.

Manchmal bedeutet es den Tod.
Aber Freisein lohnt es.
Es ist der Moment, der zählt
- nicht die zeitliche Dauer.

Vielleicht ist es das, was manche bewegt, eine für uns
unverständlich grausame Wahl des Loslassens zu treffen.

Denn es gibt es nichts Kraftvolleres und Machtvolleres als das Loslassen.

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Montag, 10. März 2008
Ein Rest von Glauben
Ein erstes Zeichen beginnender Erkenntnis ist der Wunsch zu sterben. Dieses Leben scheint unerträglich, ein anderes unerreichbar. Man schämt sich nicht mehr, sterben zu wollen; man bittet, aus der alten Zelle, die man haßt, in eine neue gebracht zu werden, die man erst hassen lernen wird. Ein Rest von Glauben wirkt dabei mit, während des Transportes werde zufällig der Herr durch den Gang kommen, den Gefangenen ansehen und sagen: "Diesen sollt ihr nicht wieder einsperren. Er kommt zu mir."

Franz Kafka (1883 - 1924)

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Freitag, 22. Februar 2008
Das war nicht mein Stern
Leise entgleitet mir das Leben; ich fühle es.
Ich sterbe nicht im Taumel, in Unklarheit.
Wie sehne ich mich schon danach,
wie verlangend schlägt mein Herz
auf seinen letzten Schlag zu, wie erfaßt mich
Heiterkeit am Ende

Ich fühle, es wird mir leichter werden, aber ein
unbestimmter Schmerz sitzt noch in mir. Ich glaube,
ich bin mit ihm geboren, und er hat keinen anderen
Grund als mich.
Ich glaube, es war der Schmerz des Benachteiligten,
der noch das Glück verbittert....

Das war nicht mein Stern, dieser.

Reinhard Goering (1887 - 1936), tötete sich selbst

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Montag, 11. Februar 2008
Reflexe der Schwermut
Reflexe der Schwermut

Es ist vergeblich, daß die Menschen streben,
Des Leides, das sie drückt, sich zu entheben;
Kaum ist ein Schmerz, kaum ist ein Weh verwunden,
Hat eine andere Schlange sich gefunden:
Die grade so wie jene fest dich hält,
Und gift’gen Zahns dein Dasein dir vergällt:
Drum sei nur still! Trag jeden Kummer gerne!
Das Leiden, das dich quält, hält andere Leiden ferne.

Ich hab der Wehe wehestes erduldet,
Des Leidens Kelch bis auf den Grund getrunken.
Ich frag den stummen Gott, wie ich’s verschuldet,
Daß so mein Glück und so mein Stern versunken!
Da liegt das Bild zerstückt zu meinen Füßen:
Der Traum zerrann, in dem es mir erschienen!
Gespenster sind die Tage, die verfließen. –
Wär’ holdes Hoffen nicht nur leeres Wähnen,
Und gäb’s dort überm Grab ein Wiedersehen,
Wie wollt’ ich mich nach dieser Stunde sehen
Und für mich selbst den letzten Tag erflehen!
Doch was bleibt mir! – Mit aufgehobnen Händen
Hinstarr’nd gedenken der Vergangenheit,
In stummen Gram das stumme Sein beenden;
Denn Schmerzen sprechen, doch es schweigt das Leid!


Wie Schlafen, Träumen schon so himmlisch ist,
Da man so gänzlich seiner selbst vergißt:
Da man erlöst, von allem Leid befreit
Sanft selig ruht wie in der Ewigkeit!
Welch köstliches Empfinden mag’s erst sein,
Wenn sanft es tönt, es bebt in dein Gehör:
Leg still dich hin, denn du erwachst nicht mehr.


M. Solitaire (1818 – 1869)

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Montag, 21. Januar 2008
Wie ins dunkle Dickicht schweben
Wie ins dunkle Dickicht schweben
Vöglein nach dem Frühlingstage
Süß befriedigt, ohne Klage
Möcht ich scheiden aus dem Leben;

Einmal nur, bevor mir's nachtet,
An den Quell der Liebe sinken,
Einmal nur die Wonne trinken,
Der die Seele zugeschmachtet.

Wie vor Nacht zur Flut sich neigen
Dort des Waldes durstge Sänger;
Gern dann schlief' ich, tiefer, länger,
Als die Vöglein in den Zweigen.

Nikolaus Lenau (1802 - 1850)

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Dienstag, 1. Januar 2008
Mein Leben
Mein Leben, ein Leben ist es kaum.
Ich gehe dahin als wie im Traum.

Wie Schatten huschen die Menschen hin,
Ein Schattten dazwischen ich selber bin.

Und im Herzen tiefe Müdigkeit -
Alles sagt mir: Es ist Zeit.......

Theodor Fontane (1819 - 1898)

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Mittwoch, 26. Dezember 2007
An sich selbst
Nun magst du ruhn für immer,
Mein müdes Herz. Es schwand die letzte Täuschung.
Die ewig ich gewähnt. Sie schwand. Ich fühle
Die Hoffnung jetzt erloschen,
Den Wunsch selbst nach des holden Truges Spiele.
Auf immer ruh! Du hast nun
Genug geschlagen. Würdig deines Pochens
Ist nichts, noch wert dies Dasein deiner Seufzer.
Das Leben nur in Ekel
Und Bitterkeit, sonst nichts, und Kot die Erde.
Nun ruhe aus. Verzweifle
Zum letzten Mal. Das Schicksal gab den Menschen
Nichts weiter als zu sterben. Jetzt verachte
Dich, die Natur, die Macht, die finstern Webens
Auf unser aller Schaden stets nur dachte,
Und die endlose Nichtigkeit des Lebens.

Giacomo Leopardi (1798 - 1837)

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Das Angenehme
Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen,
Der Jugend Freuden sind wie lang! verflossen,
April und Mai und Junius sind ferne,
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne.

Friedrich Hölderlin (1770-1843)

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Samstag, 15. Dezember 2007
Tief in den Himmel
Tief in den Himmel verklingt
Traurig der letzte Stern,
Noch eine Nachtigall singt
Fern, - fern.
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.

Matt im Schoß liegt die Hand,
Einst so tapfer am Schwert.
War, wofür du entbrannt,
Kampfes wert?
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.

Ricarda Huch (1864-1947)

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