Freitag, 7. März 2008
Affectus desinit esse passio
lilith2, 12:50h
Ein Freitod kann einen tieferen Sinn haben, wenn durch ihn das Leben wieder authentisch wird. Wenn der Tod als eine authentische Handlung das Leben wieder vervollkommnet. Wenn mit ihm das Existenzielle eines Lebens ausgesagt werden kann und ein halbes Leben wieder ganz wird.
Ich lehne die Gotteskrieger, die Märthyrer der Religionen und der Ideologien vollständig ab. Dennoch kommt man nicht umhin, sich nach dem "Warum" zu fragen. Vielleicht ist einem extrem gläubigen Menschen der in seinem Leben verwirklichte Glauben zu wenig, nur eine halbe Sache. Wenn ich an die Buddhisten denke, die sich für ihren Glauben verbrannt haben, dann ist deren Tod kein Opfer, sondern der Vollzug des Glaubens. Vielleicht waren sie dabei nicht resigniert sondern glücklich. Dietrich Bonhöfer und andere Christen, die ihren Tod zu einem Teil ihres Glaubens gemacht haben, werden vielleicht die Minuten vor ihrem Tod nicht nur Angst und Verzweiflung gespürt haben, sondern auch ein anderes Gefühl - das Gefühl der Hingabe an eine Sache, der Verschmelzung mit etwas Höherem.
Aber auch manche derjenigen, die sich nicht aus einem religiösen Grund das Leben genommen haben, sind vielleicht nicht ausschließlich in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in den Tod gegangen. Vielleicht war der Tod ihr Lebenswerk oder zumindest Teil ihres Lebenswerks. Vielleicht ist es eine Aufrichtigkeit des Gefühls, ein Ausleben-wollen der eigenen Werte. Keine Kapitulation sondern im Gegenteil ein Sieg der Hingabe an sich selbst. Ganz sein wollen - Vereinigung.
Für Materialisten ist es völlig unsinnig etwas zu tun, was den Tod beinhaltet, da sie den Tod vollständig ausblenden, er existiert nur als biologische Gegebenheit. Ich glaube aber nicht, daß Psychoanalyse & Co das Phänomen des Freitods völlig verstehen können, weil sie den Menschen in seinem Sein niemals ganz erfassen. So wie Blaise Pascal formuliert, daß der Mensch zwar unendlich ist, aber selbst nicht in der Lage, das Unendliche zu erkennen. Der Mensch ist in seiner Erkenntnis gefangen in den Vorstellungen von Raum und Zeit und kann sich auch nur innerhalb dieser eng gesetzten Grenzen gedanklich bewegen.
Diese Gedanken haben nichts, aber auch gar nichts mit dem "Spring doch" einer geifernden Masse gemeinsam, die dumpf und grobschlächtig einen Selbstmörder anfeuern. Ich selbst würde (und habe!) jeden an einem Selbstmord hindern, auch wenn das in Zusammenhang mit meinen Gedanken auf den ersten Blick unlogisch erscheint. Sollte es das oft postulierte Recht auf Selbstmord geben, dann gibt es auch das Recht auf Verhinderung eines Selbstmordes.
Ich lehne die Gotteskrieger, die Märthyrer der Religionen und der Ideologien vollständig ab. Dennoch kommt man nicht umhin, sich nach dem "Warum" zu fragen. Vielleicht ist einem extrem gläubigen Menschen der in seinem Leben verwirklichte Glauben zu wenig, nur eine halbe Sache. Wenn ich an die Buddhisten denke, die sich für ihren Glauben verbrannt haben, dann ist deren Tod kein Opfer, sondern der Vollzug des Glaubens. Vielleicht waren sie dabei nicht resigniert sondern glücklich. Dietrich Bonhöfer und andere Christen, die ihren Tod zu einem Teil ihres Glaubens gemacht haben, werden vielleicht die Minuten vor ihrem Tod nicht nur Angst und Verzweiflung gespürt haben, sondern auch ein anderes Gefühl - das Gefühl der Hingabe an eine Sache, der Verschmelzung mit etwas Höherem.
Aber auch manche derjenigen, die sich nicht aus einem religiösen Grund das Leben genommen haben, sind vielleicht nicht ausschließlich in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in den Tod gegangen. Vielleicht war der Tod ihr Lebenswerk oder zumindest Teil ihres Lebenswerks. Vielleicht ist es eine Aufrichtigkeit des Gefühls, ein Ausleben-wollen der eigenen Werte. Keine Kapitulation sondern im Gegenteil ein Sieg der Hingabe an sich selbst. Ganz sein wollen - Vereinigung.
Für Materialisten ist es völlig unsinnig etwas zu tun, was den Tod beinhaltet, da sie den Tod vollständig ausblenden, er existiert nur als biologische Gegebenheit. Ich glaube aber nicht, daß Psychoanalyse & Co das Phänomen des Freitods völlig verstehen können, weil sie den Menschen in seinem Sein niemals ganz erfassen. So wie Blaise Pascal formuliert, daß der Mensch zwar unendlich ist, aber selbst nicht in der Lage, das Unendliche zu erkennen. Der Mensch ist in seiner Erkenntnis gefangen in den Vorstellungen von Raum und Zeit und kann sich auch nur innerhalb dieser eng gesetzten Grenzen gedanklich bewegen.
Diese Gedanken haben nichts, aber auch gar nichts mit dem "Spring doch" einer geifernden Masse gemeinsam, die dumpf und grobschlächtig einen Selbstmörder anfeuern. Ich selbst würde (und habe!) jeden an einem Selbstmord hindern, auch wenn das in Zusammenhang mit meinen Gedanken auf den ersten Blick unlogisch erscheint. Sollte es das oft postulierte Recht auf Selbstmord geben, dann gibt es auch das Recht auf Verhinderung eines Selbstmordes.
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oekosabine,
Freitag, 7. März 2008, 13:32
Das Recht auf Selbstmord kann derjenige auch so ausüben, dass eine Hinderung nicht möglich ist. Ansonsten ist die Hinderung nicht nur richtig, sondern irgendwie vielleicht auch gewollt.
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wie-mit-einer-hand,
Freitag, 7. März 2008, 14:04
also theoretisch (!) finde ich ein "recht auf verhinderung eines selbstmordes" fragwürdig. wobei für mich (und eben wieder theoretisch, denn wie ich im falle der konfrontation mit dem fall in der praxis reagieren würde, steht auf einem anderen blatt) da die motive (soweit sie erkenn- und nachvollziehbar sind) des selbstmörders entscheidend wären. aber ich habe probleme damit, jemandem, der sein eigenes leben aus reflektierten gründen heraus beenden möchte, dieses recht zu verwehren bzw. dort einzugreifen. natürlich ist das eine sehr von oben herab geführte und bloß intellektuelle argumentation; aber man kann ja spekulieren. sehr empfehlenswert (falls nicht selbst bekannt; und ich muss es unbedingt mal wieder lesen) ist dazu jean amérys "hand an sich legen"; was den von dir erwähnten bonhoeffer und andere angeht, möchte ich zweifeln, ob man das mit dem aus einem freien willensakt heraus geplanten selbstmord zusammenbringen kann; nichtsdestotrotz: durch zufall bin ich auf einem bücher-grabbeltisch für lau an "du hast mich heimgesucht bei nacht. abschiedsbriefe und aufzeichnungen des widerstands 1933 bis 1945" gekommen. darin finden sich u. a. natürlich auch aussagen zu deiner thematik.
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gedankenmaler,
Samstag, 8. März 2008, 02:08
Das "Recht auf Verhinderung eines Selbstmordes" ist nicht nur fragwürdig; es existiert nicht.
Der letzte Satz bei Dir, lilith2, ist völlig unlogisch.
Aus dem Recht aufSelbstmord Freitod folgt nicht im Mindesten das Recht auf Verhinderung eines Selbstmordes Freitods.
Reicht der Hinweis, oder muss man das erklären?
(Sorry, wenn das nen bißchen arrogant ist, aber ich bin auch leicht angepisst, wenn man so sorglos den Eingriff in fundamentale Grundrechte bahnt.)
Der letzte Satz bei Dir, lilith2, ist völlig unlogisch.
Aus dem Recht auf
Reicht der Hinweis, oder muss man das erklären?
(Sorry, wenn das nen bißchen arrogant ist, aber ich bin auch leicht angepisst, wenn man so sorglos den Eingriff in fundamentale Grundrechte bahnt.)
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oekosabine,
Samstag, 8. März 2008, 03:16
Gedankenmaler: Stell dich neben Einen, der sich das Leben nimmt und dir Nahe steht. Und tue NICHTS. Dann bist du kein Mensch mit Gefühlen. (Spiegelt meine Meinung wieder, nicht mehr.)
Deshalb meine ich, es gibt dieses Recht auf Verhinderung. Und sei es der eigene Egoismus, dass wir jemanden nicht gehen lassen wollen.
Deshalb meine ich, es gibt dieses Recht auf Verhinderung. Und sei es der eigene Egoismus, dass wir jemanden nicht gehen lassen wollen.
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lilith2,
Samstag, 8. März 2008, 15:01
So wie Oekosabine sehe ich es auch. Ich habe auch nicht vom einem Grundrecht im Sinne des Gesetzbuches geschrieben. Ich meine das Recht, nach meinem Gewissen zu handeln. Niemand kann von mir verlangen, daß ich etwas tue, was meinem Gewissen widerspricht.
Ich habe beruflich oft mit diesen Dingen zu tun und die gängige Meinung (übrigens fast auschließlich bei Männern) ist das "wer sich umbringen will, soll das doch tun". Das würden die betreffenden völlig anders sehen, wenn es sich um die Kinder, die Partnerin oder sonstjemanden handelt, dem sie nahe stehen. Und das ist genau das, was mich so unglaublich ankotzt: der riesige elementare Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen - bei der einen tiefstes Mitempfinden, bei der anderen pure Gleichgültigkeit.
Wer sich umbringen will, soll das nicht in meiner Gegenwart tun. Im Übrigen habe ich schon diverse Menschen getroffen, die einen Selbstmordversuch überlebt haben. Was immer danach Thema war - niemals wurde und werden diejenigen angeklagt, die die Betreffenden gerettet haben. Einige haben sich dann tatsächlich das Leben genommen. Sie haben sich also nicht von der Rettung von ihrem Entschluß abbringen lassen.
Ich werde gleich dazu eine Begebenheit als Beitrag schreiben.
Ich habe beruflich oft mit diesen Dingen zu tun und die gängige Meinung (übrigens fast auschließlich bei Männern) ist das "wer sich umbringen will, soll das doch tun". Das würden die betreffenden völlig anders sehen, wenn es sich um die Kinder, die Partnerin oder sonstjemanden handelt, dem sie nahe stehen. Und das ist genau das, was mich so unglaublich ankotzt: der riesige elementare Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen - bei der einen tiefstes Mitempfinden, bei der anderen pure Gleichgültigkeit.
Wer sich umbringen will, soll das nicht in meiner Gegenwart tun. Im Übrigen habe ich schon diverse Menschen getroffen, die einen Selbstmordversuch überlebt haben. Was immer danach Thema war - niemals wurde und werden diejenigen angeklagt, die die Betreffenden gerettet haben. Einige haben sich dann tatsächlich das Leben genommen. Sie haben sich also nicht von der Rettung von ihrem Entschluß abbringen lassen.
Ich werde gleich dazu eine Begebenheit als Beitrag schreiben.
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oekosabine,
Samstag, 8. März 2008, 15:07
Genau das meinte ich. Danke für deine Ausführlichkeit. (Ich bin irgendwie immer so kurz angebunden.)
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