Sonntag, 16. Mai 2010
Das Leben ist so eine Sache
Das Leben ist so eine Sache.
Morgens freust Du dich auf die Mittagspause.
Wenn die vorbei ist, freust du dich auf den Feierabend.
Am Feierabend freust du dich auf das Wochenende.
Am Wochenende freust du dich auf den Jahresurlaub.
Und im Jahresurlaub freust du dich auf die Rente.
Und wenn du dann in Rente bist, weißt du:

Es hat sich nicht gelohnt!


Mathias Beltz

Ich glaube, daß es vielen Menschen so ergeht. Jedenfalls denjenigen, die sehr hart arbeiten müssen für sehr wenig Geld. Die vom Leben ausgequetscht werden wie Zitronen und denen deswegen an ihrem Lebensabend die Lebenskraft fehlt um das Leben noch zu genießen.

Ja, diese Menschen, die ackern und sich plagen und dann ihre wohlverdiente Freizeit in entsetzlichen Wohnungen in noch entsetzlicheren Wohnvierteln verbringen. Diese Menschen, die von denjenigen, denen ein besserer Lebensstandard möglich ist, abfällig belächelt werden.

In unserem Kulturkreis geht es solchen Menschen vergleichsweise noch gut. In vielen anderen Ländern haben diese Menschen den Status von Vieh. Mit dem Unterschied, daß man sie nicht auf den Schlachthof bringt, sondern sich darauf verlassen kann, dass diese Menschen von ganz allein nicht allzu alt werden.

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Sonntag, 17. Januar 2010
die reise nach jerusalem ist kein schönes spiel
Selbstmörder waren die Aristokraten des Todes – Gottes graduierte Studenten, die ihre Thesen in die Tat umsetzten, um darzutun, wie begrenzt die Entscheidungsmöglichkeiten seien, die er sich selbst und seinen Geschöpfen gewährt habe.
Daniel Stern

eine Kette von kausalitäten. vielleicht zu oft die falschen menschen getroffen. die, die einem nicht gut tun – niemandem gut tun. nicht rechtzeitig die flucht ergriffen, sondern sich stumm ergeben zu haben.

im nachherein kann man sagen, man hätte, man könnte, man sollte.

aber man hat eben nicht.

einmal eine spiritistische sitzung abhalten, wenn man denn dran glauben würde. und die experten befragen. solche wie Stefan Zweig, Cesare Pavese und Sylvia Plath. „habt ihr es bereut? würdet ihr es weiterempfehlen?“ oder einfach nur eure hand halten dürfen. die hand von menschen, die verstehen. ja, eine hand zu halten – vielleicht sogar gehalten werden, würde es leichter machen.

Cesare Pavese schrieb, dass nach so vielen abschieden der eigene leicht fällt. einen unterschied gibt es schon. es bleibt eben niemand über. die schwelle zur nicht-existenz fällt schwer.

es ist wie die reise nach jerusalem. irgendwann wird es einem unheimlich, dass alle verschwinden und man hat keinen spaß mehr. auf dem letzten Stuhl sitzen ist so einsam. ein siegergefühl stellt sich nicht ein. im grunde ist das spiel ein selbstbetrug. man hat um einen platz gekämpft, den man vielleicht schon viel früher kampflos hätte aufgeben sollen. und man stellt fest: es war den kampf nicht wert.

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Samstag, 8. August 2009
Die Gespenster der Kindheit


Die Gespenster der Kindheit sind unsterblich.
Manchmal sind sie lange Zeit still und reglos.
Aber da sind sie immer.

Verstecken sich unter dem Bett.
Oder unter der Tapete.
Manchmal sogar im Wasserhahn.

Die Gespenster der Kindheit tauchen unerwartet und plötzlich wieder auf.
Springen einem ins Gesicht.
Reißen an den Haaren.
Kratzen und spucken.

Sie können hager und knochig sein
oder auch feist und fett.
Riesig groß wie Müllberge
oder klein wie Ungeziefer.
Aber häßlich sind sie immer.

Die Gespenster der Kindheit halten die Vergangenheit am Leben.
Und drücken der Gegenwart die Luft ab.

Vergiften noch das kleinste bißchen Glück der Gegenwart.
Sie geben nie auf.
Und immer sind sie stärker.

Sie sind unsterblich.
Die Gespenster der Kindheit.

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Sonntag, 4. Mai 2008
Einsamkeit
Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abendstunden entgegen;
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.

Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:

dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...

Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

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Mittwoch, 30. April 2008
Stein werden
Zu Stein werden
langsam, langsam das warme Blut erkalten spüren
von den Füßen aufwärts wandert die Kühle zu ihrem Ziel
legt sich tröstend um das Herz
das langsam, langsam zu Stein wird
eine steinerne Statue werden
die nie mehr Schmerzen spüren muß

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Mittwoch, 16. April 2008
Ich bin der Welt abhanden gekommen
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viel Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinen Lied!

Friedrich Rückert

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Mittwoch, 9. April 2008
Was geschieht mit einem aufgeschobenen Traum?
Was geschieht mit einem
aufgeschobenen Traum?

Vertrocknet er
wie eine Rosine in der Sonne?

Oder schwärt er wie eine Wunde -
und eitert dann?

Stinkt er wie verfaultes Fleisch?

Oder bekommt er eine zuckrige Kruste
wie eine kleine klebrige Süßigkeit?

Vielleicht sackt er einfach weg
wie eine schwere Last.

Oder explodiert er gar?



Langston Hughes (1902 - 1967)

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Vielleicht bildet er häßliche Fettzellen?

Vielleicht manifestiert er sich auf Kontoauszügen?

Vielleicht hat er fast 3 Promille?

Vielleicht kommt er mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt?

Vielleicht macht er einen Pilotenschein und stürzt in Wolkenkratzer?

Vielleicht liegt er bei 2 Grad minus im Schützengraben?

Vielleicht bildet er aber auch wunderschöne Verse in traurigen Gedichten?

Vielleicht ist er der Anfang eines langen schwermütigen Romans?

Vielleicht komponiert er ein melancholisches Lied?

Vielleicht löst er sich aber auch ins Nichts auf und verschwindet ohne eine Spur zu hinterlassen aus dem Gedächtnis, so als hätte es ihn nie gegeben. Mit seiner Existenz verschwindet auch die Erinnerung an ihn. Vielleicht war die Leere in uns in früheren Zeiten einmal von Träumen angefüllt. Träume, um die wir noch nicht einmal trauern können, da wir sie vergessen haben.

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Was ist ohne Wünsche?
Aufhören zu wünschen
Seine Wünsche ungewünscht lassen
Sich die Wünsche austreiben
Seine Wünsche vergessen
Seine Wünsche auf den Mond wünschen

Wünsche sind auch Ziele,
ohne Wünsche verlieren wir auch die Ziele
Wünsche sind der Anlaß für Veränderungen
ohne Wünsche wird alles still stehen

wunschlos und ziellos
schöne wunschlose Welt.
Das, was ist, ist schön,
da ich mir ja nichts anderes wünsche

Menschen, die nichts mehr wünschen,
gleichen sich irgendwie alle,
denn es sind auch die Wünsche,
die einem Menschen Charakter geben.

Wenn ich die Pflegeheime besuche,
sehe ich viele Menschen ohne Wünsche
Menschen, die sich nicht mehr das Recht
nehmen, etwas zu wünschen
Menschen, die ihre Wünsche vergessen haben
vielleicht auch Menschen, die einfach keine Wünsche mehr wollen

Es ist ein bißchen wie tot sein
Ein bißchen wie Aufgabe, wie Kapitulation.

Hier bin ich, ich bin vollkommen wunschfrei,
macht, was ihr wollt mit mir!
Setzt einen Nazi neben mich
oder einen Kinderschänder
es ist mir gleich,
ich wünsche mir niemanden weg
Aber erwartet keine Ideen mehr von mir
Für die Ideen muß man auch Wünsche haben.

Man kann nicht das Eine ohne das Andere haben
Wer die Rosinen haben will, muß den ganzen Kuchen essen.

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Freitag, 29. Februar 2008
Dialoge
Mich dünkt, ich höre und sehe Geister, Kobolde, Teufel. Meine Phantasie zeigt mir tausend häßliche Gestalten, Bären ohne Kopf, schwarze Männer, Affen, kummervolle Schreie, schreckliche Schauspiele, und meine traurige und niedergedrückte Seele fällt in Schrecken. Alle meine Leiden sind im Vergleich dazu Freuden, keine ist so höllisch wie Melancholie.

Freunde und Kameraden, geht weg, es ist mein Wunsch, allein zu sein, ich bin ein Vieh, ein ausgewachsenes Ungeheuer, ich will kein Licht und keine Gesellschaft, es erweist sich nun als mein Elend. Die Umgebung hat sich verändert meine Freuden sind dahin, Furcht, Mißmut, Sorgen kommen. Alle meine Leiden sind im Vergleich dazu Torheit, nichts ist so grimmig wie Melancholie.

Robert Burton (1577 - 1640)

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Mittwoch, 30. Januar 2008
Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst....
Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüßtest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so erfürchtig, so nachdenklich (...) stehen, wie vor dem Eingang zur Hölle.

Frank Kafka (1883 - 1924)

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